G20 differenziert betrachten – Abrüstung und sozialökologischer Umbau bedingen sich

Angesichts des starken Wachstums der Schwellenländer verändert sich das Kräfteverhältnis zwischen den globalen Akteuren langsam aber stetig. Vor allem das Verhältnis zwischen den USA, der EU und der Volksrepublik China erfährt im Ringen um geopolitische Einflusszonen eine permanente Neujustierung. Sich zuspitzende globale Herausforderungen – Flüchtlingsströme, Peak Oil und weitere Ressourcenverknappungen – verleiten viele Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens, aus „Sorge“ um den „Zugang“ zu „ihren“ afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Rohstoffen ihre Streitkräfte zu verstärken (1). Manche sprechen sogar von einem Rückfall in die Zeit des Völkerbunds. Die Trump-Administration gibt dabei der NATO den Takt vor. So verspricht die CDU/CSU im Bundestags-Wahlprogramm 2017 eine Steigerung des „Verteidigungs“-Etats von derzeit 1,2 % des BIP auf 2 %  bzw. 70 Mrd. Euro im Jahr 2024. Glaubt irgendjemand ernsthaft, mit einem globalen Militärbudget von über zweitausend Milliarden Euro wäre das Pariser Klimaabkommen samt „Agenda 2030“ mit ihren 17 Sustainable Development Goals auch nur im Ansatz realisierbar?  Aber ganz so trostlos wie es scheint ist es nicht: das sich verändernde Kräfteverhältnis zwischen den globalen Akteuren beinhaltet auch Chancen für die Herausbildung einer sozial verträglichen multipolaren Weltordnung. Das betrifft insbesondere die „G20“. Sowohl „Paris“ und die Agenda 2030, aber auch die Enzyklika „Laudato si!“ des Papstes Franziskus vom 26. Mai 2015 („Kapitalismus tötet!“) prägten diverse Arbeitsgruppen des Hamburger „G20“-Summits – wir informierten z.B. auf unsrer Website mehrfach über die Berliner „T20“-Konferenz (2). Wenn auch das Kommuniqué des Hamburger Gipfels viele enttäuschte und sich die öffentliche Debatte fast ausschließlich auf die „Krawalle“ konzentrierte: Die positiven Arbeitsresultate dieser Arbeitsgemeinschaften lassen sich nicht wegleugnen. Die Gruppen arbeiten weiter und bereiten den nächsten G20-Kongress in Buenos Aires vor (3).

Die Einladung der Kieler Hiroshima-Arbeitsgemeinschaft zum Gedenken am 6. August enthält einen weiteren Hoffnungsschimmer: Wenige Wochen zuvor, am 7. Juli, verabschiedeten 122 Nationen am Sitz der UNO einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen. Dieses „trotz Trump“ erzielte Abkommen ist völkerrechtlich verbindlich und verbietet neben der Herstellung, dem Einsatz und Besitz auch die Drohung mit einem Nuklearschlag sowie die Stationierung von Atomwaffen in anderen Staaten. Die NATO-Staaten hatten es abgelehnt, sich zu beteiligen. Dennoch gilt es auch für sie. Daraus ziehen die Veranstalter zu Recht den Schluss, der Druck auf die Bundesregierung müsse verstärkt werden, um aktiv ein Verbot und die Vernichtung aller Atomwaffen in Deutschland zu erwirken (siehe Ramstein). Das zeigt erneut, wie „alternativlos“ es ist, derlei Zusammenhänge differenziert zu betrachten.

Im Unterschied zu den meisten NATO-Mitgliedern würdigen die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika nebst Japan, Mexiko und weiteren Ländern die seit 2008 bestehenden G20-Treffen als wichtigen Schritt hin zu einer multipolaren Weltordnung. Die KP Japans sieht darin sogar einen Beitrag zur „Demokratisierung der Weltwirtschaft“ (4). „Der Westen“ präsentierte sich in Hamburg tief gespalten: „Böse Zungen behaupteten möglicherweise mit Recht, Kanzlerin Merkel sei Trumps Drohung, aus dem Pariser COP-21-Abkommen auszusteigen, ein insgeheim willkommener Anlass gewesen, von ihrem eigenen Desaster – z.B. dem klaren Verfehlen der Emissionsminderung von vierzig Prozent im Jahr 2020 – abzulenken“ (5). Einerseits votieren klare Mehrheiten für eine Eindämmung des Klimawandels und politische Entspannung, zugleich jedoch üben die Wirtschaftsflügel namentlich der Regierungsparteien Druck aus, um die Profit- und Herrschaftsinteressen sowohl der Kohle- und Atomlobby, als auch des mit ihr strategisch verbundenen militärisch-industriellen Komplexes durchzusetzen, nicht zuletzt via Desinformation der Öffentlichkeit. Daher überrascht es nicht, dass sich die gegen Russland gerichtete Aggression der NATO zunehmend auch gegen China im Ringen um geopolitische Einflusssphären richtet.

Die organisierte Linke (nicht nur die Linkspartei) hat m.E. die Hamburger „Krawalle“ vorbereitend unterstützt, indem sie es versäumte, differenziert über die zu verhandelnden Themen des Gipfels zu informieren. Dass ihre Vertreter unterschiedslos von „den Machthabern“ schwadronierten, die man in der Stadt nicht sehen wolle, darf getrost als „geistiges Armutszeugnis“ (6) charakterisiert werden: „Mitten in der Hamburger Innenstadt will Angela Merkel Trump, Putin, Erdogan den roten Teppich ausrollen. Gemeinsam wollen sich Neoliberale und Autokraten dort als Problemlöser inszenieren. Dabei ist es ihre Politik der letzten Jahre, die viele der drängendsten Probleme erst hervorgerufen hat“ (7).

Ein gemeinsamer Aufruf von Friedens- und Umweltaktivisten zur Eindämmung des Klimawandels u.a. durch Abrüstung kam meines Wissens bislang nicht zustande. Stattdessen pflegt jede der beteiligten Gruppen ihre Scheuklappen. Alle mir bekannten Dokumente zur Eindämmung des Klimawandels klammern den Rüstungssektor mehr oder minder aus. Auch das Sustainable Development Goal Nr. 16 der Agenda 2030: „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“(8) enthält keine Aussage zum Rüstungssektor  –  dies war der Preis dafür, dass alle auf ihr Militär setzenden Regierungen die Agenda 2030 unterschrieben. Auch in den Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) kommt Rüstung, wenn überhaupt, unterbelichtet daher. Folglich tun sich Friedensaktivisten mit dem Verständnis von Strategien zur Eindämmung des Klimawandels besonders schwer. Auf der anderen Seite wundert es nicht, wenn so mancher Aktive des BEI-SH (Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein – in ihm sind mehr als 80 Organisationen verbunden) die Relevanz aggressiv-militärischer Strategien grob unterschätzt.

Das Sozialökologische Bündnis Plön wird Kontakt zu FriedensaktivistInnen in unsrer Region aufnehmen.

Plön, 29. Juli 2017. Hansjürgen Schulze

Anmerkungen: