Am Samstag, dem 12.11.2022 (unmittelbar vor dem Volkstrauertag) organisierte der Eutiner Friedenskreis im Zusammenwirken mit Ver.di und dem Sozialökologischen Bündnis Plön e.V. in der Eutiner Fußgängerzone eine Friedenskundgebung. Hier ist unsere Rede.
Moin! Mein Name ist Hansjürgen Schulze. Ich spreche für den Bildungsverein Sozialökologisches Bündnis Plön. Wir engagieren uns für 1000 Solaranlagen auf Plöner Dächern, damit unsre Stadt binnen 13 Jahren klimaneutral wird. Wir sind auch in der Friedensbewegung aktiv.
„Brot und Frieden!“. Dafür kämpften im Hungerwinter 1916/17 russische Textilarbeiterinnen und lösten die Februarrevolution aus. Wie in Deutschland waren die Bauern an der Front, die Äcker lagen brach, Millionen verhungerten. Brot! Heute leiden Deutschlands Bäcker unter den hohen Energiekosten, 449 Euro Grundsicherung machen das Brot auch für Rentner unbezahlbar. Heizung! Wir sollen frieren, denn „Russland soll ruiniert“ werden. So will es die oberste Diplomatin. Frieden! Michael Müller von den Naturfreunden sagt: „Entweder kommt es zu einer neuen Phase von Abrüstung, Entspannung und friedlicher Zusammenarbeit oder die globalen Konflikte münden in neuer Gewalt. Kurz: Die Atomwaffen sind der schnelle Selbstmord, der Klimawandel die langsame Selbstvernichtung“.
Dieses Dilemma beunruhigte schon vor vierzig Jahren die Vereinten Nationen: Willy Brandt leitete deren Nord-Süd-Kommission. Olof Palme stand ihrer Sicherheitskommission vor und Norwegens frühere Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland publizierte den Umweltbericht „Our Common Future“. Der heutige Ukrainekrieg erfordert eine Rückbesinnung auf die drei Berichte. Hauptakteure des Palme-Berichts von 1982 waren Egon Bahr, der Architekt der deutschen Ostverträge, Cyrus Vance, der Außenminister unter Jimmy Carter, der sowjetische Völkerrechtsprofessor Georgij Arbatow und Olof Palme. Arbatow unterrichtete das Politbüromitglied der KPdSU Michail Gorbatschow über jedes Detail, besonders über Egon Bahrs Sicht:
Das Vernichtungspotenzial moderner Waffensysteme erzwingt die Schaffung von Vertrauen zwischen den Kontrahenten, hier zwischen NATO und Warschauer Pakt. Das setzt den Verzicht auf militärische Überlegenheit voraus.
Ich wiederhole: Das Vernichtungspotenzial moderner Waffensysteme erzwingt die Schaffung von Vertrauen zwischen den Kontrahenten, hier zwischen NATO und Warschauer Pakt. Das setzt den Verzicht auf militärische Überlegenheit voraus. Gorbatschow brachte dies in sein Treffen mit Ronald Reagan im November 1985 in Reykjavik ein, und das führte zu einer weitreichenden Abrüstung. Gorbatschows Neues Denken ließ viele Konfliktfelder in eine neue Sicherheitsarchitektur münden. Seine Ideen zur Schaffung des gemeinsamen europäischen Hauses und das Neue Denken löste mannigfaltige Konflikte und vereinte sie alle zu einer neuen Sicherheitsarchitektur: Armut, Bildungsmängel, Krankheit, Hunger, Frauenunterdrückung, verunreinigtes Wasser, überteuerte Energie, Naturzerstörung. Daraus entstanden die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen.
Leider müssen wir konstatieren, dass die Menschheit vom Vernunftweg abkam. Das neoliberale Profitstreben treibt unsre Spezies in die Selbstvernichtung. Entgegen der zwar „nur“ mündlichen, dennoch juristisch gültigen völkerrechtlichen Vereinbarung, welche die damaligen Außenminister Baker und Genscher bezeugten, reitet die NATO immer weiter gen Osten und schürt die Ängste der russischen Bevölkerung vor einer neuen Aggression. Ich stand im März 1977 tief betroffen auf dem Leningrader Piskarjowskoje-Friedhof vor den Massengräbern hunderttausender Leningrader, die während der Blockade durch die deutsche Wehrmacht elendig verhungerten. Ich kann die tiefe Angst vieler Sowjetmenschen und ihrer Nachkommen vor einer neuen Aggression des Westens ebenso gut verstehen wie die Angst eines Teils der Balten und Polen vor einer Rückkehr des von ihnen gehassten russischen Bären. Die NATO wurde 1949 von Kalten Kriegern als Verteidigungsbündnis gegründet. Sie ist auch ein Organ von US-Oligarchen zur Absicherung ihrer globalen Hegemonie. In der Ukraine stieß ihr Hegemonialstreben auf konträre russische Regionalinteressen: Putin hat einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu verantworten.
Der Ukrainekrieg hat eine Vorgeschichte: Die NATO strebt seit den 1990ern eine militärische Überlegenheit an. Ihre Militärausgaben betragen das Fünfzehn- bis Achtzehnfache der russischen. Putin erklärte sich bereit, notfalls Atomwaffen einzusetzen. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI ermittelte für das Jahr 2021 weltweite Rüstungsausgaben von 2,1 Billionen USD, davon entfielen 56% auf die NATO, davon wiederum drei Viertel auf die USA. 60% der weltweiten Rüstungsausgaben würden zur Finanzierung der zehn „teuersten“ Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ausreichen.
Gegenwärtig findet im ägyptischen Scharm el-Scheich die 27. Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt. 2024 wird die Menschheit das Pariser Klimaabkommen reißen und die Erderhitzung über 1,5 Grad hinaustreiben. Über den Landmassen verläuft der Temperaturanstieg viel dynamischer, besonders kräftig in Europa. Klima ist das durchschnittliche Wetter während 30 Jahren. Seit 1881 zeichnet der Deutsche Wetterdienst alle deutschen Wetterdaten systematisch auf. Lag die durchschnittliche Jahrestemperatur im Basiszeitraum 1881 bis 1910 noch bei 7,8°C, so waren es 80 Jahre später 0,7 Grad mehr. Seitdem, so meldet die Weltwetterorganisation, steigt die Jahrestemperatur pro Jahrzehnt um 0,5 Grad. Demnach sind wir in Deutschland schon bei plus 2,2°C angelangt. Wenn es so weiter geht, wird die Erderhitzung 2050 die 3,7-Grad-Marke überschreiten. Wir befürchten, dass es noch schlimmer kommt: Die gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen verstärken die Klimaerhitzung: durch fortgesetzte Kohleverstromung und die Ersetzung des relativ umweltverträglichen russischen Erdgases durch das überaus dreckige US-Frackinggas.
Je länger der Krieg in der Ukraine währt, umso wahrscheinlicher wird ein Atomkrieg. Selbst wenn es gelingen sollte, selbigen zu vermeiden, dürften viele, die in der zweiten Jahrhunderthälfte vegetieren, die Toten beneiden!
Die russische Invasion lässt sich möglicherweise militärisch stoppen. Aber deren Konsequenz ist der Krieg gegen die Natur, und den haben wir schon verloren. Noch können wir uns der Palme-Kommission erinnern und das Neue Denken praktizieren: Sofortiger Waffenstillstand! Für eine neutrale Ukraine und das Selbstbestimmungsrecht aller Völker – auch auf der Krim und im Donbass!