Diesen Beitrag schrieb ich für die Herbstausgabe der Zeitschrift „Tarantel“ der Ökologischen Plattform bei der Linkspartei:
„Ob eine klimaverträgliche Gesellschaft entstehen kann, entscheidet sich vor allem in diesen drei Transformationsfeldern: Trendumkehr in den Energiesystemen; klimaverträgliche Gestaltung der sich beschleunigenden Urbanisierung; klimaverträgliche Landnutzung“ (WBGU 2011, S. 97). Meinungsumfragen zufolge sind die Energiewendebefürworter in der absoluten Mehrheit. Dennoch: „allerorten scheinen wütende Bürger bestrebt, den Bau von Speichern, Windkraftwerken und Trassen in ihren persönlichen Lebensbereichen zu behindern“ (S. 9). Warum? Vom Prekariat bis in die Mittelschichten sind soziale Schieflagen und tief sitzende Ängste vor sozialem Abstieg verbreitet. Als energiearm gilt jeder, dessen Gesamtaufwand für Strom, Heizung und Warmwasser mehr als zehn Prozent des Haushaltseinkommens beträgt. Seit der Jahrhundertwende verdoppelten sich die Preise für Strom, Erdöl und Erdgas. Sie wuchsen deutlich stärker als alle Transferzahlungen und die meisten Löhne und Altersrenten. Analoges gilt für das Gros aller Nahrungsmittel und speziell für die Mieten in den Ballungszentren. Vor die Entscheidung gestellt, entweder zu hungern oder bei Energie zu sparen, verzichten hunderttausende Energiearme auf angemessenes Heizen ihrer Wohnung. Sie haben zudem Probleme, nach Eingang ihrer Stromrechnung am Jahresende die oft hohen Nachzahlungen zu stemmen. Daher führen mehr als eine halbe Million Menschen aufgrund von Stromabschaltungen ein zeitweiliges Höhlendasein.
Dieser Herausforderung widmeten sich 2013 der Ökowissenschaftler vom Wuppertal-Institut und GRÜNE Stadtrat von Osnabrück Dr. Michael Kopatz und seine MitstreiterInnen: „Energiewende. Aber fair! Wie sich die Energiezukunft sozial tragfähig gestalten lässt“. Reich bebildert und grafisch aufgelockert enthält das Buch eine Fülle praktikabler Vorschläge, wie die Energiearmut innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems zu lindern sei. Drei Aspekte seien in dieser Rezension hervorgehoben:
1: Stromspar-Check für einkommensschwache Haushalte Im Rahmen des gleichnamigen Projekts von Caritas und Bundesverband der Energie- und Klimaschutzagenturen werden in hundert Städten, Gemeinden und Landkreisen mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums bis zu 650 Langzeitarbeitslose (Stand 2013) zu „Stromsparhelfern“ ausgebildet. Sie arbeiten meist auf 1-Euro-Basis. Haushalte, die von Transferleistungen leben (Hartz-IV, Sozialhilfe, Wohngeld), haben vor Ort Anspruch auf kostenlosen Stromverbrauchs-Check. Mitunter werden Energiesparlampen, schaltbare Steckerleisten, Strahlregler, Sparduschköpfe oder Zeitschaltuhren im Gesamtwert von durchschnittlich 66 Euro für den „Kunden“ unentgeltlich sofort installiert. In Freiburg können sogar ineffiziente Kühlschränke dank eines kommunalen Zuschusses ausgetauscht werden. Auf diese Weise lässt sich der Stromverbrauch zwischen zehn und dreißig Prozent senken. Eine Weiterqualifizierung zum hauptberuflichen „Serviceberater für Energie- und Wasserspartechnik“ mit Festeinstellung ist möglich – jeder Fünfte konnte bisher in den ersten Arbeitsmarkt wechseln. Inzwischen haben sich weitere Verbände dem Projekt angeschlossen, u.a. das Diakonische Werk und die Arbeiterwohlfahrt. Geplant sind die Durchführung von 150.000 Stromspar-Checks und Zuschüsse für den Austausch von 16.000 ineffizienten Kühlschränken – alles ist freiwillig und bei weitem nicht ausreichend.
Hinzu kommen lokale Projekte: das EnergieSparProjekt Nürnberg, welches Kopatz zufolge mit dem Sozialamt vorbildlich kooperiert; der ClevererKiez-Verein Berlin sowie der EnergieSparService Essen, wobei – hier setzt meine Kritik an – dessen Kooperation mit RWE auf eine längst existierende Grauzone hinweist: Nicht immer haben die beteiligten Unternehmen einen guten Ruf. Das lässt manche Unterstützungsbedürftige zögern. Bis Länder und Kommunen per Gesetz zur umfassenden Durchführung von Energiespar-Checks durch professionelle Berater (statt Ein-Euro-Jobbern) auf breiter Front verpflichtet werden, ist es noch ein weiter Weg.
2: Vorabkasse bei der Stromabrechnung Viele Finanzschwache nutzen Prepaid-Tarife für ihre Mobiltelefone. Kopatz zufolge sollen arme Haushalte nach Zahlungsproblemen verpflichtet werden, dieses Modell auch bei ihren Stromabrechnungen anzuwenden. Dies sei in anderen Ländern längst die Norm: Spezielle Zähler zum Preis von mehreren Dutzend Euro, entweder von den Bedürftigen oder von der hilfreichen Kommune aufzubringen, seien in der Wohnung zu installieren. Die „intelligenten Stromzähler der Zukunft“ könnten dies „nebenbei“ bewirken: Noch bevor die Stromrechnung ins Minus rutscht, soll der Zähler dies anzeigen. Sollte der „Kunde“ dann nicht liquide sein, könne er entscheiden, ob der Zähler bis zur nächsten Kontoauffüllung auf Sparflamme läuft, sodass nur die allerwichtigsten Abläufe funktionieren, z.B. nur eine Lichtquelle, oder er sich von Freunden aushelfen lässt, damit der Strom reibungslos wie zuvor fließt. Am Jahresende würden keine unüberwindbaren Rückstände mehr auflaufen und Sperrungen vermieden.
Stattdessen fordert DIE LINKE (auch rückwirkend) Steigerungsraten von Löhnen, Renten und Sozialtransfers, die zumindest die allgemeine Kostenentwicklung ausgleichen. Hierzu Kopatz: „Aus rein sozialpolitischer Sicht ließen sich die hohen Energiepreise über Sozialtransfers kompensieren. Doch so flösse viel Geld in ein Fass mit löchrigem Boden, wenn die Energiepreise weiter ansteigen“ (S. 11). Ein Radio-Ausschnitt unterstreicht dies (SWR2 vom 19.9.2016): „Sprecher: ‚Für sie sind Stromsperren ein Relikt der Vergangenheit. Weshalb Caren Lay mit der Linkspartei – als einzige politische Kraft in Deutschland – dafür kämpft, Strom- und Gassperren gesetzlich zu verbieten. (…) Für Michael Kopatz, Autor des Buchs ‚Energiewende. Aber Fair!‘, ist ein Verbot von Stromsperren dennoch keine Lösung.‘ O-Ton Michael Kopatz: ‚Ein Supermarkt verkauft ja auch kein Brot, wenn der Kunde nicht bezahlt. Muss der Kunde zur Tafel gehen oder irgendwas anderes tun. Warum soll ein Energieversorger das machen?“ Kopatz ignoriert die für LINKE unabweisbare Forderung, die elementaren Lebensbedürfnisse jeder und jedes Einzelnen vor Ausbeutung zu schützen.
3: Sozialverträgliche Gebäudesanierung dank „Bielefelder Klimabonus“ Private Haushalte verbrauchen mehr als ein Viertel der gesamten Energie in Deutschland. Davon wiederum werden 85 Prozent für Heizung und Warmwasserbereitung benötigt. Bei weitem überwiegt die Verbrennung von Erdöl und Erdgas. Der Anteil erneuerbarer Energien liegt nur bei knapp 13 Prozent. Ältere Gebäude verbrauchen dreimal so viel Heizenergie wie Neubauten: hier ist die Herausforderung für eine sozialverträgliche Energiewende gigantisch.
Zunächst ein Beispiel wie aus dem Bilderbuch geschnitzt: „In Köln sanierte eine Wohnungsbaugenossenschaft diese Seniorenwohnanlage. Die Kaltmiete stieg anschließend von 4,30 €/qm auf 5,45 €/qm. Der Energiebedarf konnte um gut 85 Prozent gesenkt werden, sodass die Warmmiete anschließend günstiger war als vorher“ (S. 155). Die Realität sieht zumeist anders aus: Rund 100.000 MieterInnen konnten sich 2011 nach energetischer Modernisierung ihre Wohnung nicht mehr leisten. Knapp ein Viertel der über 21 Millionen Mieterhaushalte sind ganz oder teilweise auf Sozialleistungen angewiesen. Laut Baugesetzbuch darf die Kaltmiete um maximal elf Prozent der Modernisierungskosten erhöht werden. Dadurch wird in vielen Fällen die laut SGB zulässige Höchstgrenze überschritten. Mieter, Vermieter und Kommunen stehen vor kaum lösbaren Problemen: Mieter müssen durch die wegbrechenden Transferzahlungen ausziehen. Vermietern droht Wohnungsleerstand. Häufige Folge: energetische Modernisierungen bleiben aus und die Wohnwerte der betroffenen Kommunen sinken.
2006 bis 2010 war die Blütezeit des Bielefelder Klimabonus: Die ostwestfälische Großstadt erlaubt noch immer höhere Mieten, wenn die Gebäude energieeffizienter werden, und gewährt trotz der immer enger werdenden Finanzspielräume Zuschüsse für Nettokaltmieten, wenn durch Energieausweise die Unterschreitung eines festgelegten Energiekennwerts belegt wird. Mittelfristig betrachtet mindert eine verbesserte Energieeffizienz die Warmmiete, sodass sich der Sanierungsaufwand für Vermieter und Mieter lohnt. Auch unter kurzfristigem Aspekt rechnet es sich dank einer Förderung durch die KfW-Bank. Allerdings veränderte sich dies nach 2010 a) durch den Anstieg der Baukosten, b) das Absenken der Fördersätze und c) den immer klammeren Kommunalhaushalt. Es „zeigte sich, dass sich eine energetische Modernisierung bei strengen Maßstäben nur dann wirtschaftlich darstellen lässt, wenn (…) vergleichsweise hohe Mietsteigerungen realisiert werden können“ (S. 158 f). Den Druck neoliberaler Kräfte ignorierend möchte Kopatz erreichen, dass einkommensschwache Mieter nicht mehr „aus ihrem Heim saniert werden. Das ist unter anderem möglich, wenn bei Mehrfamilienhäusern ein Drittel der Sanierungskosten durch die staatliche Förderung getragen wird. Hilfreich wären auch Obergrenzen für Mietsteigerungen sowie eine Stärkung genossenschaftlicher Wohnformen und des sozialen Wohnungsbaus“ (S. 13). Sozialtarife lehnt er ab: „Sie können die sozialen Folgen steigender Energiekosten nicht mildern, ohne unerwünschte Nebenwirkungen auszulösen. Ein hoher administrativer Aufwand, mangelnde Zielgenauigkeit, rechtliche Hürden, wettbewerbliche Verzerrungen und klimapolitische Überlegungen sprechen gegen eine bundesweit verpflichtende Einführung solcher Tarife“ (daselbst). Das fällt m.E. noch hinter die 2011 publizierten Vorstellungen des WBGU zur „Großen Transformation zu einer klimaverträglichen Gesellschaft“ zurück (siehe WBGU 2011, S. 215 ff).