Das Sozialökologische Bündnis Plön e.V. (SÖBP) fördert als Bildungsverein Diskussionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2035 – in Plön, aber auch in externen Organisationen wie z.B. in der Eutiner Parents-for-Future-Gruppe. Dazu haben wir zwei PowerPoint-Vorträge entwickelt, die sich ergänzen. 2022 spitzte sich die kapitalistische Vielfachkrise immens zu: Die Corona-Pandemie war noch nicht überwunden, da begann der Ukraine-Krieg. Flüchtlinge mussten untergebracht werden. Die Verteuerung von Energie und Nahrungsmitteln trieb Menschen bis in die Mittelschichten in die Armut und machte die Reichen noch reicher. Kohlekraftwerke wurden reaktiviert und die Klimaerhitzung verschärft. Hinter diesen sichtbaren Herausforderungen verbirgt sich eine „multiple Krise“, die „alle sozialen Felder und gesellschaftlichen Teilbereiche erfasst“ (Dörre: „Die Utopie des Sozialismus“, S. 61).
„Vor allem in den alten industriellen Zentren nährt das expansive kapitalistische Besitzprinzip ein chronisch ineffizientes, ineffektives und deshalb parasitäres System, dessen größte Leistung darin besteht, sämtliche Formen von Sozialität auszuplündern“ (Klaus Dörre).
Wie in einem Brennglas offenbart sich die dem Kapitalismus der 2020er Jahre wesenseigene Zangenkrise:
Bleibt das Wirtschaftswachstum aus, steigt die soziale Not; zieht das Wachstum an, eskalieren ökologische Großgefahren – allen voran der Klimawandel.
Wie gehen Städte wie Plön in die Zukunft? Welche Themen stehen auf ihrer Agenda? Mit Blick auf das Ensemble der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der UN begründen wir unseren Optimismus, dass auch die Kreisstadt Plön binnen zwölf Jahren klimaneutral werden kann.
Probleme lassen sich (Einstein zufolge) niemals mit denselben Mitteln lösen, die sie verursacht haben. Unser zweiter Vortrag beinhaltet ausgewählte Texte aus einem Essay des Jenaer Soziologieprofessors Klaus Dörre, in dem er von den 17 SDGs ausgehend seine Utopie eines nachhaltigen Sozialismus vorstellte.
1.: Die 17 SDGs können eine subversive Kraft entfalten
Die sozialen, ökonomischen, ökologischen Krisen und daraus resultierenden Kriege erzwingen grundlegende Veränderungen. Ein ganzheitliches, systemisches Denken und Handeln auf globaler, nationaler, regionaler und kommunaler Ebene zur Umsetzung der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele wird immer dringender.
„Die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen sind hervorragend geeignet, auch solche Nachhaltigkeitspolitiken normativ zu begründen, die eine Überwindung des Wachstumskapitalismus anvisieren. In ihrer Kombination und Gleichrangigkeit können universelle Nachhaltigkeitsziele eine subversive Kraft entfalten, weil sie den kapitalistischen Expansionismus in all seinen Spielarten mit einer Rechtfertigungswelt konfrontieren, die zur raschen Reduktion von Emissionen, Ressourcen- und Energieverbrauch auffordert und die gerechte Verteilung eines Wohlstands einklagt, der auch künftigen Generationen noch zur Verfügung steht“ (Klaus Dörre).
2.: Das unidirektionale Stromnetz (vom Großkraftwerk zum Verbraucher) bremst die Energiewende. Das bidirektionale Energiesystem fördert sie.
Erneuerbare Energien (EE) werden überwiegend ins fossile (unidirektionale) Netz der Stromkonzerne gespeist. Die Elektrifizierung von Wärme und Verkehr verdreifacht den Strombedarf. Der Stromnetzausbau kommt nur schleppend voran, während dank horrender fossiler Energiekosten neue Wärmepumpen und E-Autos angeschafft werden, deren Strombedarf rapide wächst. Die Bundesnetzagentur warnt neuerdings vor Netzüberlastungen („Brownouts“) und will ab 1.1.2024 die tägliche Ladezeit von E-Autos auf 3 Stunden drosseln. Das reicht für 50 km, ist kontraproduktiv (und das erste Argument für eine Nachhaltigkeitsrevolution). Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (Claudia Kemfert u.a.) empfiehlt den Umstieg in ein bidirektionales Energiesystem, das dem dezentralen Charakter der Erneuerbaren besser entspricht und eine Vor-Ort-Versorgung garantiert:
„Insbesondere sind die Vorteile eines vom bisherigen System abweichenden, dezentralen Planungsansatzes zu berücksichtigen, welcher absehbare Netzengpässe einkalkuliert und stärker auf lastnahe Erzeugung bzw. auch Bürgerbeteiligung an Erzeugung und Verbrauch (‚Prosumage‘) setzt“.
3.: Balkonkraftwerke sind der echte Einstieg in die Energiewende
Balkonkraftwerke liegen im Trend. Das Land Schleswig-Holstein bezuschusst den Erwerb einer neuen Stecker-Solaranlage mit 200 Euro. Aus unserer Sicht sollen sie vor allem Mieter*innen anreizen. Dabei können Konflikte mit den Vermietern entstehen. Juristisch steht dann Umweltschutz als Staatsziel gemäß Artikel 20 a GG im Widerspruch zum Eigentumsrecht des Vermieters, das die Gerichte bisher wie jedes Eigentum wie eine heilige Kuh verteidigen. Am 30.3.2021 fällte das Amtsgericht Stuttgart ein bahnbrechendes Urteil – es wies die Klage des Eigentümers auf Entfernung der Anlage ab. (Dies ist unser zweites Argument für eine Nachhaltigkeitsrevolution.)
„Die Nutzung des Solarstroms führt hier nicht nur zur Einsparung von Energiekosten der Mieter, wodurch ihnen die Lebensführung – wenn auch in geringem Maße – erleichtert wird, sondern auch zur Einsparung von Energie. Im Zuge der politisch angestrebten Energiewende hin zu erneuerbaren Energien bringt die Solaranlage auch unter dem Aspekt des Umweltschutzes, welcher als Staatsziel in Art. 20 a GG verankert ist, objektiv – wenn auch in kleinem Umfang – Vorteile“ (AG Stuttgart, AZ. 37 C 2283/20).
Dieses Urteil könnte zum Einfallstor für Sozialisierungen gemäß Artikel 14 (2 und 3) GG werden – siehe unseren zweiten Vortrag, Folie 7.
Mehrheitsbeschlüsse von Wohnungseigentümergemeinschaften gegen die Anbringung von PV-Steckeranlagen sind eine besondere Herausforderung. Wir planen eine Infokampagne in beiden Hochhäusern der Plöner Ölmühlenallee.
4.: Wie kann Plön binnen 12 Jahren weitgehend klimaneutral werden?
Angesichts der hohen Energiepreise empfiehlt sich eine Informationskampagne zur Installation von Balkonkraftwerken, die sich speziell an Mieter*innen richtet. Stecker-Solaranlagen bedürfen der Zustimmung der Vermieter. So erreichen wir die Eigentümer. Ziel ist die Errichtung von PV-Anlagen auf und an tausend Häusern. Auf die eigene Solaranlage folgt in energieeffizienten Gebäuden die Anschaffung einer Wärmepumpe, ggfs. auch des E-Fahrzeugs. Ein vorausschauender Gesetzgeber ermöglicht die freie Verwendung des PV-Stroms bis zum Verbindungskabel ins öffentliche Netz: der Solarstrom kann dann an Nachbarn und/oder Wohnungsmieter direkt verkauft werden. Mehrere Akteure, z.B. alle Wohnungen eines Gebäudes, bilden vernetzte Zellen vor dem Zähler (s. Folie 8). – Bürger können eine Energiegenossenschaft gründen, die einen Windpark betreibt. Sie können Freiflächen-Solarstrom ernten und verkaufen, z.B. an die Stadtwerke (siehe Folie 10).
Ältere, energie-ineffiziente Gebäude bedürfen der energetischen Sanierung. Selbst danach liefern Wärmepumpen nicht immer die angestrebte Wärme. In diesem Fall macht der Einbau eines Wasserstoff-Blockheizkraftwerks Sinn.
5.: Ausblick: 100% importfreier Wasserstoff durch Agri-PV (APV)
Während in Frankreich und anderen Ländern Agri-PV längst akzeptiert ist, bestehen in Deutschland große Hürden, z.B. bei der Erteilung von Baugenehmigungen. APV-Installationen sind doppelt so teuer wie Aufdach-Solaranlagen:
„Freiflächenphotovoltaik erzeugt einen höheren Bedarf an kritischen Rohstoffen, wie etwa Kupfer, da sie im Vergleich zu dezentral beim Verbraucher installierter Dachphotovoltaik mehr Leitungen, Transformatortechnologie und vor allem einer Aufständerung aus energieintensiv hergestellten Materialien wie Stahl und anderen Bedarf, während Dachflächen-PV ihre Tragekonstruktion in Form des schon vorhandenen Dachs hat“ (Wählergemeinschaft Göttinger Linke).
Skaleneffekte und bessere Materialien ermöglichen perspektivische Kosteneinsparungen. Die Doppelernte (Landwirtschaftsprodukte am Boden, Strom in 4-6 m Höhe) steigert den Flächenertrag um 60-90 Prozent. Es liegt nahe, APV-Strom massenhaft für eine grüne Wasserstoffproduktion zu verwenden.
Die Bundesregierung hält in ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie vom Juni 2020
„die erneuerbaren Erzeugungskapazitäten innerhalb Deutschlands (für) begrenzt … Daher wird Deutschland auch in Zukunft ein großer Energieimporteur bleiben müssen“ (S. 4).
Dem widerspricht die Co-Vorsitzende des Club of Rome Mamphela Ramphele, eine Südafrikanerin, entschieden:
„Jetzt aber holt sich Deutschland in Namibia Wasserstoff und bittet Südafrika, es (Namibia) mit Kohle zu versorgen. Es ist das Muster der Vergangenheit, das Muster des Kolonialismus“ (TAZ, 3.2.2023).
Grüner Wasserstoff ist gegenwärtig noch nicht wettbewerbsfähig, doch Experten prognostizieren eine zur PV analoge Kostensenkung. Die Zukunft liegt in Technologien, die ohne seltene Erden auskommen. An der FSU Jena wurden erfolgreich verschiedene Salze, Basen und Säuren getestet, wobei sich Schwefelsäure als am wirkungsvollsten herausstellte (mdr, 8.9.2022). Dürreperioden erfordern künftig ein bundesweites Wassermanagement. Ein internationales Forscherteam hat in Australien Prototypen gebaut, die den Wasserstoff aus der Luft beziehen. Auch mittels künstlicher Photosynthese lässt sich künftig Wasser in seine Bestandteile H2 und O spalten. Notwendig sind intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Der Anreiz dazu wird fehlen, solange der deutsche Klima-Imperialismus den grünen Wasserstoff durch Ressourcenausbeutung (Extractivismus) des globalen Südens kostengünstig gewinnen kann. (Argument Nr. 3 für eine Nachhaltigkeitsrevolution)
Die Zeit ist überreif für die Beschäftigung mit einem „Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution“ – genauer: für die Utopie eines nachhaltigen Sozialismus im Sinne unseres zweiten Vortrags.
Hier sind die beiden Vorträge abrufbar:
https://sozialoekologisches-buendnis-ploen.de/wp-content/uploads/2023/01/Vortrag-SOeBP-10.1.23.pdf
https://sozialoekologisches-buendnis-ploen.de/wp-content/uploads/2023/01/Vortrag-Doerre.Utopie.pdf