Angesichts der Herausforderung durch den Klimawandel sieht der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) „in der Geschichte der Menschheit nur zwei große Transformationen, Veränderungsschübe oder Phasen der Zivilisation, die vergleichbar wären mit der Großen Transformation, die nun stattfinden muss: die Neolithische Revolution, die den Übergang von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur Agrargesellschaft darstellte sowie die Industrielle Revolution, die schon der ungarische Ökonom Karl Polanyi (1944) als ‚Great Transformation‘ beschrieben hat“ (WBGU-Hauptgutachten von 2011, S. 87). Das bedeutet, dass alle Politikinhalte, ob soziale Gerechtigkeit, Bildung oder Streben nach wirtschaftlichem Fortschritt, in diese eine alles übergreifende Aufgabe einzuordnen sind. Dies wurde im Erfurter Programm der LINKEN fixiert (Abschnitt 4.4, Satz 1: Sozial-ökologischer Umbau „als wesentliche Querschnittsaufgabe in allen Politikbereichen“).
Dennoch werden wohl noch viele Katastrophen über uns hereinbrechen – Tornados, Überschwemmungen, Sturmfluten, Hitzewellen, Stickoxid-Belastungen, Nahrungsmittelkrisen -, welche zuerst die Schwachen treffen, bis eine Mehrheit der gesellschaftlichen Akteure nicht nur in der Linkspartei dies verstehen und akzeptieren wird. Auch wenn der WBGU sich auf Deutschland fokussiert, leuchtet ein, dass die Eindämmung des Klimawandels nur von allen Nationen gemeinsam bewältigt werden kann. Nachvollziehbar ist aber auch, dass einige wenige Länder eine Vorreiterrolle übernehmen müssen, bis das Bewusstsein der anderen Nationen ähnlich weit entwickelt ist. Zu den Vorreitern gehört Deutschland, das „Mutterland der Energiewende“. Aber die deutsche Bundesregierung – wohl erst recht künftig die neue in den Jamaikafarben – tut vieles, um diesen hehren Anspruch zu konterkarieren.
. Dobrindt meets Zetsche
Grundlegende Schritte wurden bereits 2015 mit der UN-Agenda 2030 am 25. September und dem Pariser Klimaabkommen am 12. Dezember getan. Mehr als der Start zu einem langen Hindernisparcours ist dies leider nicht. So setzte die Gruppe der 77 Entwicklungsländer ihre ökonomistische Sicht auf die ersten zwölf Sustainable Development Goals der Agenda 2030 durch: Beseitigung von Armut und Hunger sowie Ausbau des Gesundheits- und Bildungswesens samt weiteren Zielen durch ein forciertes Wirtschaftswachstum, was jedoch mit SDG 13 (Eindämmung des Klimawandels) disharmoniert. Die NATO-Mitgliedsstaaten waren nur nach Ausklammerung des Rüstungssektors aus dem Zielkatalog (SDG 16: Schaffung einer gewaltfreien Welt) zur Unterzeichnung bereit. – Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, wie oft die Bourgeoisien der sich zu Nationen formierenden afrikanischen Ethnien in Kollaboration mit Konzernen des globalen Nordens der Sicherung ihrer Profite den Vorrang gegenüber den Interessen ihrer Nationen einräumen. Solange dies anhält, erweisen sich viele gut gemeinte Spenden aus den Zivilgesellschaften des Nordens, z.B. als Patenschaften für tansanische Schulen und für andere Infrastrukturprojekte, bestenfalls als Tropfen auf dem heißen Stein.
1.: Eine Weltgesellschaft ist ohne Vergemeinschaftung aller Nationen nicht zu haben
Voraussetzung für die Entfaltung einer Weltgesellschaft ist die Vergemeinschaftung der Nationen. Der vorwissenschaftliche Sprachgebrauch wirft „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ durcheinander. Marxisten schwebt eine „kommunistische Gesellschaft“ vor, wobei jedem der lateinischen Sprache Mächtigen Zweifel kommen müssten: „communis“ steht für „Gemeinschaft“, „societas“ für „Gesellschaft“. Ferdinand Tönnies (geboren 1855 südlich von Husum, gestorben 1936 in Kiel) begründete die Soziologie in Deutschland mit seiner Habilitationsschrift „Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung über den Communismus und den Socialismus als empirischer Culturformen“. Gemeinschaften sind für ihn natürliche Verbindungsarten der Individuen zum Zweck ihrer kollektiven Reproduktion, stets basierend auf einer gemeinsamen Kasse zur gegenseitigen Existenzsicherung – von der Familie und dem Familienetat bis zur Nation und ihrem nationalstaatlichen Steuersystem, innerhalb dessen der Sozialetat einen beachtlichen Raum einnehmen muss: Jeder nationale Zusammenhalt wäre ohne Sozialpolitik gefährdet. – Unter Gesellschaften verstand Tönnies jene Verbindungsarten, die durch Handel vermittelt sind, z.B. als GmbH oder als mit Gemeinschaften korrespondierende Verbindungen von Menschen, die geschäftsfähig sein müssen, um als Personen Verträge schließen zu können.
Die ersten Gesellschaften entstanden vor ca. 4.500 Jahren in Mesopotamien durch Handel zwischen einheimischen Sippen und Händlern. Letztere begründeten mit ihren Warentransporten aus dem fernen Industal die Globalisierung. Seitdem bildet der „Weltmarkt“, sich mit jeder neuen „Landnahme“ (Klaus Dörre) räumlich erweiternd und mit jeder Handelsverdichtung intensiver werdend, das allen Gemeinschaften entsprechende Pendant. – Überall auf dem Globus formierten sich in langen Zeiträumen Ethnien (Sippen, Stämme, Völkerschaften), indem sie Ackerbau und Viehzucht betrieben und ihre landwirtschaftlichen Produkte durch Handel zu verwerten suchten. Es waren archaische, auf „Gemeinschaft des Bluts“ basierende Nationen, z.B. die nordamerikanische „Nation der Irokesen“. (Das lateinische „natio“ entstammt dem Wort „nasci“ – geboren werden.) Über Keimformen bildete sich auf dieser Stufe der Gebrauch von Schriftzeichen, wohl aus der Notwendigkeit, Listen über die Tauschgeschäfte zu führen. Daraus erwuchsen die ersten staatlichen Strukturen und immer allgemeineren Verwendungen der Schrift, z.B. in der Gesetzgebung, Verwaltung und zur Fixierung der Handelsverträge. Es formierte sich eine Klasse lese- und schreibkundiger Spezialisten, die eine kleine Minderheit der agrarischen Gesellschaften umfasste und letztere beherrschte. Die archaischen Nationen waren bereits Gliederungen, in denen die sozialen Kämpfe ihrer Zeit ausgefochten wurden.
Mit dem Heraufkommen des Kapitalismus bildete sich eine neue Qualität im Beziehungsgeflecht der Nationen heraus. Getrieben von fossilen Energien (z.B. Dampfmaschinen) entstand die kapitalistische Arbeitsteilung. Sie sprengte die zu eng gewordene feudalistische Hülle: Innerhalb der erweiterten Territorien erforderte sie den Abbau von Binnenzöllen, einheitliche Maße und Gewichte, eine einheitliche Währung, ein einheitliches Gesellschafts- und Steuerrecht sowie ein höheres kulturelles Niveau aller Produzenten. Im Verlauf ihrer Arbeit müssen die Werktätigen mit vielen anderen Menschen innerhalb eines gemeinsamen Kontextes kommunizieren. Nicht mehr die feudalistische Elite, sondern ALLE müssen jetzt lesen und schreiben können sowie die Grundrechenarten beherrschen.
Ausgangspunkt der modernen Nationen ist die große bürgerliche Revolution der Franzosen von 1789: Vorbereitet durch die bürgerliche Aufklärung, wurde das feudalistische Gottesgnadentum durch eine Verfassungsordnung abgelöst, welche die Nation mit den Menschenrechten in eins setzte. Die Untertanen mutierten zu „aufgeklärten“, d.h. mündigen „Staatsbürgern“ (Citoyens), die mit wachsender Zahl der aktiven Staatsbürger das Wahlrecht erkämpften. In heftigen sozialen Konflikten gelang die Durchsetzung von allgemeinen, direkten, gleichen, freien und geheimen Wahlen sowie des Frauenwahlrechts oft erst im 20. Jahrhundert. Die Herausbildung moderner Nationen erweist sich als andauernder Prozess voller Widersprüche. Der eingangs erwähnte Ökonom K. Polanyi arbeitete heraus, wie die Bourgeoisie im 19. Jahrhundert den Wirtschaftssektor aus allen sozialen Bindungen herauslöste. Eine Wiederherstellung sozialer Verhältnisse bedürfe der Re-Integration der Ökonomie in die Gemeinwesen.
Die mangelnde soziale Bindungskraft der heutigen Gemeinschaften bringt als Folge der neoliberalen Austeritätspolitik rückwärtsgewandte Zeitgenossen hervor – vormoderne Untertanen, die sich zum Beispiel in der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte auf „Gemeinschaft des Blutes“, „vaterländische Gesinnung“ und islamophobe Begriffe berufen. Der Ostberliner Philosoph Peter Ruben hält dagegen:
„In der Nation bildet das Individuum seinen Geist, seinen Verstand und seine Vernunft, seinen kulturellen Habitus aus, wird es zum Staatsbürger und also zur Person, die den politischen Verkehr erlernt. (…) Völker werden Nationen, indem ihre Individuen Staatsbürger werden, indem der Citoyen auftritt, der die Konstitution, die Verfassung, zur ideellen Bedingung seines politischen Verhaltens macht. Eine Nation ohne Verfassung ist so wenig vorhanden wie eine polis ohne nomos. Und eine Verfassung, die nicht die politische Gleichheit der in ihr definierten Staatsbürger definiert, bedeutet nur die Karikatur der Idee nationaler Konstitution. In diesem Sinne ist die Bildung einer Nation stets die ideelle Antizipation einer stände- und klassenfreien Gemeinschaft. Und eben darin besteht die Attraktivität und Macht der Idee der Nation“ (E. Crome/J. Franzke (Hrsg): „Nation und Nationalismus“, Berlin 1993, S. 29 f).
Eine klimaverträgliche Weltgesellschaft wäre demnach eine weltumspannende Gemeinschaft von sozialökologisch bewussten Staatsbürgernationen, die den Weltmarkt demokratisch steuern.
2.: Auf dem Weg zur organisch vereinigten Menschheit: Die EU als Gemeinschaft von 28 Nationen
Marx und Engels hatten 1848 im Kommunistischen Manifest erklärt, die Arbeiter hätten infolge ihrer Eigentumslosigkeit an den Produktionsmitteln „kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben“ (MEW 4, S. 479). Karl Polanyi beschrieb, wie Englands Bourgeoisie ab 1834 mit der Speenhamland-Gesetzgebung die letzten sozialen Schutzzäune des Merkantilismus niederriss. Arbeit, Land und Geld wurden gewaltsam dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen mit der Folge, dass die Arbeiter ihre Existenzgrundlage verloren. Nur wenn sie bei guter Konjunktur Arbeit fanden, konnten sie überleben – ansonsten waren sie zur Emigration gezwungen. Durch diesen radikalen Abbau der sozialen Rechte entzog ihnen die Bourgeoisie ihr Vaterland. Mit der Ausbeutung im Innern der Nation ging, getrieben durch die Gier der Herrschenden nach den profitabelsten Kolonien, eine aggressive Außenpolitik einher: „Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander“ (MEW 4, S. 479).
Leider werfen viele Marxisten und mit ihnen weitere Linke das historisch-dialektische Denkvermögen über Bord. Dann gründet ihre Gegenwarts-Wahrnehmung in einer falschen Interpretation der sozialen Verhältnisse nach einem Muster, das während der Frühzeit des Industriekapitalismus herrschte. Die Nation ist für sie nichts anderes als eine reaktionäre Institution. Gefangen in abstrakten Kategorien gelangen sie zu sektiererischen Aussagen: „Ohne eine grundlegende sozial-ökologische Änderung der Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsweise und ohne Brechung des kapitalistischen Wirtschafts- und Profitzwangs wird es keine soziale Gerechtigkeit und keinen Schutz der Umwelt geben“ (aus der Erklärung der Teilnehmer des Bundestreffens 2017 der Ökologischen Plattform bei der LINKEN). Anders gesagt: Zuerst machen wir Revolution, danach kümmern wir uns um den Klimawandel.
Den organisierten Arbeitern gelang es jedoch, im Innern ihrer Nationen ihre Eigentumslosigkeit an den Produktionsmitteln partiell aufzuheben, indem sie sich zu Gewerkschaften zusammenschlossen, Lohnerhöhungen und Sozialgesetze erkämpften, über ihre Betriebsräte an den Entscheidungen der Unternehmensleitungen teilhaben und Eigentum an den Produktionsmitteln erwerben können, z.B. in Gestalt von Aktien. Das tun orthodoxe Marxisten seit Jahrzehnten als „Verbürgerlichung der Arbeiter“ ab und stellen sich damit selbst ins gesellschaftliche Abseits. Zur historischen Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Errungenschaften der Arbeiterbewegung u.a. auf der Ausbeutung von Natur und schwächeren Völkern des globalen Südens beruhen. Damit sich dies ändert, muss eine entwickelte sozialökologische Politik mitsamt den Bürger- und Menschenrechten zum Gradmesser für die Modernität der heutigen Nationen werden.
Heute stehen sich drei Machtblöcke gegenüber: Nordamerika, die EU und der asiatisch-pazifische Raum. Bezogen auf Wirtschaftskraft und Bewältigung des Klimawandels geraten die 28 EU-Staaten gegenüber der Volksrepublik China mehr und mehr ins Hintertreffen. Das liegt auch daran, dass die Vergemeinschaftung der EU-Mitglieder sich in einer eigentümlichen Schwebe zwischen mehr als Staatenbund und noch nicht Bundesstaat befindet. Der schrittweise Ausbau der Rechte des Europäischen Parlaments spiegelt die überaus konfliktreiche Herausbildung der 28 Nationen seit dem 19. Jahrhundert, wobei die Europäische Kommission zunehmend Regierungsfunktionen übernehmen soll. Aktuelles Beispiel sind Macrons Bemühungen um die Einführung eines vom EP kontrollierten gemeinsamen Haushalts aller Euroländer – ein Projekt, das Schäuble in seiner „vormodernen“ Attitüde ablehnt. Dabei gewinnt das Subsidiaritätsprinzip – als Kompetenzabgrenzung von nationalstaatlicher, Unions- und regionaler Ebene – zunehmend an Bedeutung.
Das zentrale Problem der EU-Vergemeinschaftung wird seit der Zerschlagung der sozialen Strukturen durch den Neoliberalismus und die damit einher gehende „Verwestlichung des Ostens“ ab 1990 sichtbar: Der „Realsozialismus“ hatte nicht vermocht, in der breiten Bevölkerung ein staatsbürgerlich-kosmopolitisches Bewusstsein zu verankern. Die osteuropäische Verwestlichung bewirkte eine konformistische, Einordnung und Unterordnung anstrebende Anschlusshaltung. Nationalistische, auf Rückentwicklung zu vormodernen Nationen zielende Grundhaltungen treten mit fortschreitendem Sozialabbau durch den Finanzmarktkapitalismus als Rechtsruck in vielen gefestigt scheinenden ost- und westeuropäischen Staaten zutage. Engagement für klimaverträgliche Kommunen und Regionen fördert die kosmopolitische Bewusstwerdung und kann die Bürger gegen Rechtsruck immunisieren.
3.: Global denken – lokal handeln!
Zum Verständnis des letzten Satzes ist eine plausible Beantwortung der Frage unumgänglich, warum der Finanzmarktkapitalismus an die Macht kam und welche ebenso plausiblen Konsequenzen daraus folgen könnten. Ab Ende der 1960er Jahre geriet der fordistische Teilhabekapitalismus in eine existenzielle Krise. „Ursache des Niedergangs scheinen die negativen Skaleneffekte der hinter der Entwicklung der Arbeitsproduktivität zurückbleibenden Ressourceneffizienz zu sein“ (Rainer Land 2010). Das wurde 1973 während der ersten Ölkrise allgemein sichtbar: Die Autokonzerne hatten versäumt, technologisch bereits realisierbare Drei-Liter-Motoren in die Serienfertigung zu überführen. Als die OPEC den Ölpreis deutlich anhob, war das allgemeine Desaster groß. Die Krise wurde durch die jetzt einsetzenden neoliberalen Bewältigungsstrategien drastisch verschärft. – Wie können Strategien aussehen, die trotz der gegenwärtigen neoliberalen Offensive aus der finanzkapitalistischen Krise herausführen?
Bei der „Großen Transformation“ werden zwei gegenläufige Tendenzen sichtbar. Die globalen Energie-, Rohstoff- und Agrarkonzerne präferieren Großlösungen: „Zentralistische Anlagen, extreme Monokulturen sowie lange Transport- und Leitungswege verhindern den Bruch mit der Wachstumslogik (es ist ein Unterschied, ob 4.500 Kilometer neue Leitungen erforderlich sind wie bei zentralen Offshore-Anlagen (…) oder höchstens 450 Kilometer wie bei den dezentralen Onshore-Anlagen). Kosten, Zentralismus und Interessenkartelle machen diese Art von Energiewende zu einer extrem unsozialen und ungerechten Perspektive. Ähnlich sieht es mit den desaströsen Folgen zentralistischer bzw. großindustrieller und großagrarischer Ökologie aus“ (Michael Thomas im „Futuring“-Reader der Rosa-Luxemburg-Stiftung; Münster 2014, S. 290). ABER: Auch die großen Konzerne werden durch den Klimawandel gefährdet. Immer mehr von ihnen, beginnend mit den Versicherungsriesen Allianz und Münchner Rück, fordern den raschen Ausstieg aus der Kohle. E.ON und EnBW wollen einen CO2-Emissionspreis von 30 Euro je Tonne statt derzeit lächerlichen 8 Euro. – Eine solche Transformation kann zwar technischen bzw. technologischen, ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Anforderungen an den Wandel genügen. Doch das allein reicht nicht aus. Ein Wandel, der top down determiniert ist und sich an bestehenden neoliberalen Institutionen orientiert, wird die etablierten Herrschaftsstrukturen eher noch festigen – „im Gerede über Transformation verabschiedet sich jede wirkliche Transformation“ (Thomas, S. 291).
Dagegen werden „Bürgerbeteiligung und praktizierte Teilhabe (…) vielmehr in einem umfassenderen, sozialen und kulturellen Sinn zu entscheidenden ‚Mechanismen‘ von Lern-, Such- und Evolutionsprozessen“ (Busch/Land 2013). „Was sich im fordistischen Kapitalismus nicht mehr einlösen ließ und mit dem Finanzmarktkapitalismus zu einer Zerstörung und Deformation des Sozialen führte, kann hier als progressiver Sozialmodus, als Evolutionsprinzip gesehen werden“ (Thomas, S. 297). Der Schlüssel liegt in der eigenen praktischen Erfahrung in Projekten. Lokale Energieerzeugung durch Windkraft, Photovoltaik oder Biomasse, ökologischer Anbau, regionale Produktion und Vermarktung in regionalen Wirtschaftskreisläufen bieten Akteuren außerhalb der Konzerne Chancen – auf regionale Wertschöpfung (viele neue Arbeitsplätze vor allem im Handwerk und bei Dienstleistungen, höhere Löhne sowie verbesserte kommunale Finanzen durch Steigerung der kommunalen Steuereinnahmen). Es entstehen „vor allem auch neue direkte Aushandlungsmöglichkeiten für ‚öffentliche Güter‘ und für die breite Nutzung der Energiesysteme – Leitungen, Abwasser etc. Es erweitern sich (…) mit den materiellen Möglichkeiten die Chancen für Rekommunalisierungen und vor allem die einer Vervielfältigung und Modifizierung von Eigentumsstrukturen (Genossenschaften, Bürgerstiftungen, Varianten solidarischen Wirtschaftens etc.). Die Rückführung öffentlicher Güter in kommunale Regie und die Ausbreitung von genossenschaftlichen Formen sind praktische Schritte hin zu einer Demokratisierung und Stärkung politischer Teilhabe. Sie verlangen aber ebenso einen Ausbau dieser Teilhabe, eine Stärkung und Ausweitung lokaler Demokratie“ (Thomas, S. 296), etwa in der Gestalt von Bürgerhaushalten.
Bei aller Begeisterung für die neue Entwicklungslogik und die neuen Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger sollte das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden. Zum einen tobt zurzeit eine heftige neoliberale Gegenoffensive der alten Mächte, darunter der vier großen Atom- und Kohlekonzerne. Andrerseits bleiben technisch-technologische Determinanten existent, auf die nicht verzichtet werden kann. Daher ist mit dem Verbleib einiger Konzerne zu rechnen, die sich den neuen Bedingungen anpassen müssen, z.B. bei der Produktion elektro- oder brennstoffzellengetriebener Fahrzeuge. Doch gestützt auf die wachsende Macht der regionalen Akteure, zu denen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) zählen, wird sich die Dominanz der alten Mächte in Zukunft deutlich wirksamer eingrenzen lassen. Die „Große Transformation“ wird zunächst eine Transformation „von unten“ und „im Kleinen“ sein.
Autor: Hansjürgen D. Schulze, 7. November 2017