Das Ende des fossilen Zeitalters naht und läutet einen Strukturwandel in allen Gesellschaftssektoren ein. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschloss im September 2015 für die nächsten 15 Jahre 17 nachhaltige Entwicklungsziele. Smart Cities wie z.B. die „Smarte KielRegion“ (KI, PLÖ, RD) sollen die Vielzahl der Sektoren vernetzen. Mit dieser „Digitalisierung“ wachsen zugleich die Möglichkeiten zur Überwachung der Bürger durch einen immer vormundschaftlicher werdenden Staat.
Dennoch richten wir den Blick nach vorn: „No one leave behind“ – niemand darf auf der spannenden Reise in die Zukunft zurückbleiben! Arme, die Angst vor dem Monatsende haben, interessieren sich nicht für Zukunftsthemen. Wir sehen die Verbindung von Armutsüberwindung (Ziel 1), Ausbau der Erneuerbaren (Ziel 7) und Klimaschutz (Ziel 13) im Zentrum der UN-Agenda 2030: „Wir sind uns dessen bewusst, dass die Beseitigung der Armut in allen ihren Formen und Dimensionen … eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist“ (Präambel, erster Absatz).
Die Energiewende erfordert horrende Investitionen. Der Staat kann sie allein nicht stemmen: zusätzliches Bürger-Engagement ist unverzichtbar. Es wäre ein schwerer politischer Fehler, die Investitionen mit Kosten zu verwechseln: Die Sonne schickt keine Rechnung! Wenn Solaranlagen und Windräder nach 10-15 Jahren abgezahlt sind, ernten wir Wind- und Solarstrom zum Nulltarif! Diese Ersparnis könnte bei der Finanzierung der sich anschließenden Wärme- und Mobilitätswende helfen. Dennoch wirken sich soziale Ungleichheit, Inflation und die weiteren Auswüchse der multiplen Krise negativ auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus: Armutsbetroffene leben meist in schlecht gedämmten Häusern mit einem besonders großen energetischen Sanierungsbedarf und der Aussicht auf überdurchschnittliche Mieterhöhungen.
„Meine Gastherme ist ein altes, energiefressendes Gerät, das zu meiner Wohnung gehört. Vermieter sparen, besonders an Wohnungen, in denen Armutsbetroffene wohnen – da kommt ja auch nicht so viel Miete rein. Umbau ist teuer, also tummeln sich in Altbauten Boiler, Thermen und Geräte, die schon vor zehn Jahren hätten ausgetauscht werden können und sollen… ich habe nun mal nicht das Geld, um diese Geräte auszutauschen. Eine Möglichkeit für mich war der Verzicht auf einen Gefrierschrank .Ich habe seit Jahren keinen Tiefkühler mehr, die Stromkosten des Gerätes waren zu hoch. Aber all das, was ich einsparen konnte, wurde mir durch die hohen Energiekosten wieder genommen“ (Janina Lütt im „Freitag“, 22.5.23).
„Wir sind auf der Autobahn zur Klimahölle mit dem Fuß auf dem Gaspedal“ (Antonio Guterres)
Dazu schreibt der Jenaer Soziologieprofessor Klaus Dörre: Bleibt das Wirtschaftswachstum aus, werden die Verteilungsspielräume enger, die soziale Not wächst. Zieht das Wachstum an, eskalieren ökologische Großgefahren. „Entweder gelingt es, das Wirtschaftswachstum von seinen ökologisch und sozial destruktiven Folgen zu entkoppeln, oder es muss eine Transformation stattfinden, die moderne Gesellschaften vom ökonomischen Zwang zu gewinngetriebener Marktexpansion und permanentem, raschem Wirtschaftswachstum befreit. Bislang gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass die erste Option greift“ („Die Utopie des Sozialismus – Kompass für einen Weg aus der Klimahölle“, aus der Zeitschrift „Sozialistische Politik und Wirtschaft“, herausgegeben u.a. von Andreas Bovenschulte, Andrea Nahles und Kevin Kühnert, Heft 253, S. 15).
Zu den Grundübeln der staatsbürokratischen Sozialismen des 20. Jahrhunderts gehörte ein Wachstumsimperativ, dem sich die herrschenden Eliten in der Systemkonkurrenz mit „dem Westen“ bewusst unterwarfen. „Sozialistische Ideen des 21. Jahrhunderts müssen ihre Überzeugungskraft aus der Notwendigkeit einer Nachhaltigkeitsrevolution beziehen“ (Dörre, S. 14). Die 17 Nachhaltigkeitsziele können
„in ihrer Kombination und Gleichrangigkeit … eine subversive Kraft entfalten, weil sie den kapitalistischen Expansionismus in all seinen Spielarten mit einer Rechtfertigungswelt konfrontieren, die zur raschen Reduktion von Emissionen, Ressourcen- und Energieverbrauch auffordert und die gerechte Verteilung eines Wohlstands einklagt, der auch künftigen Generationen noch zur Verfügung steht“ (Dörre, S. 17).
Keine Nachhaltigkeit ohne Wandel der Eigentumsordnung
„Oder es muss eine Transformation stattfinden, die moderne Gesellschaften vom ökonomischen Zwang zu gewinngetriebener Marktexpansion und permanentem, raschem Wirtschaftswachstum befreit…“ (Dörre, siehe oben). Utopisches Denken hilft uns, Konturen einer zukunftsfähigen und friedlichen Gesellschaft zu antizipieren:
„Mit Blick auf die Eigentumsproblematik werden sich nachhaltige Gesellschaften aller Vor- aussicht nach auf transformatives Recht, kollektives Selbsteigentum im Sektor großer Unternehmen, umfassende Wirtschaftsdemokratie, den Übergang zu nachhaltiger Qualitätsproduktion, demokratische Rückverteilung und Planung, die gesellschaftliche Aufwertung reproduktiver Tätigkeiten und nicht zuletzt auf eine spannungsreiche, aber produktive Kombination von liberal-parlamentarischer und Rätedemokratie gründen“ (Dörre, a.a.O., S. 18).
Nachhaltigkeit erfordert eine Umwälzung der Rechtsverhältnisse hin zu einem transformativen Recht, das Wachstums- durch Nachhaltigkeitsziele ersetzt. Artikel 20 a GG (Umweltschutz als Staatsziel) kann als Brücke verstanden werden zu einer Gesellschaft, in der die Nachhaltigkeitsziele Verfassungsrang besitzen und mit wirksamen Sanktionierungsmöglichkeiten verbunden sind. Die Aufnahme von Nachhaltigkeitszielen in Artikel 14 (2,3) GG würde eine Erweiterung der Sozialbindung des Eigentums ermöglichen: Wirtschaftsakteure, die das Nachhaltigkeitsgebot missachten, müssten mit Enteignung und Sozialisierung rechnen. Damit einher gehen müssten eine Bürgerbeteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungen, vor allem bei Finanzen (kommunale Bürgerhaushalte), neue Besitzverhältnisse (Genossenschaften und Sozialunternehmen) sowie eine radikale Abkehr von Produktionsabläufen, die primär von Märkten und Konsumenten her konzipiert wurden: Gesundheit, Pflege, Erziehung, Bildung und Mobilität müssen zu öffentlichen Gütern werden.
Irgendwo zwischen Utopie und Wirklichkeit: Bürgerenergie als Vor-Ort-Versorgung im erneuerbaren Energiesystem
Zwei Energiesysteme stehen sich diametral gegenüber: Schleswig-Holsteins Elektrifizierung erfolgte aufgrund des immensen Kapitalbedarfs durch Konzerne, die ihren Strom durch ihre Netze „per Einbahnstraße“ von den Großkraftwerken zu uns passiven Endkunden liefern. (Aus der Preussag ging die Schleswag hervor, die 2002 von E.on übernommen wurde. TenneT und die E.on-Tochter Schleswig-Holstein Netz AG betreiben das Stromnetz.) Es ist das „fossile Energiesystem“. Seine zentralistische Ausrichtung („top down“) ist gegenläufig zur dezentralen erneuerbaren Bürgerenergie („bottom up“): Bürgerinnen und Bürger produzieren ihren Wind- und Solarstrom lokal, „vor Ort“. 2021 betrugen die „Gestehungskosten“ laut Fraunhofer ISE für kleine PV-Dachanlagen 6-11 Ct/kWh, mit Batterie 8-20 Ct/kWh, für Windräder 4-8 Ct/kWh, während die Kilowattstunde des Grundversorgers deutlich über 40 Cent liegt. Alleine schon die Investitionslogik veranlasst die Bürger, ihren selbst produzierten Strom als „Prosumer“ selbst zu verbrauchen. Unter „vor Ort“ verstehen wir ein Ein- oder Mehrfamilienhaus, dessen Mietparteien sich den PV- und Windstrom zu günstigen Preisen teilen, eine Nachbarschaft, ein Quartier oder eine Kommune. Im Flyer zur Kommunalwahl stellten wir im April 2023 unser Modell für Plöns Vor-Ort-Versorgung vor: Demnach würden die Plöner Stadtwerke überschüssigen Bürgerstrom „exportieren“ (ins Netz der Konzerne speisen) und bei Bedarf Strom „importieren“. Jeder Plöner Akteur könnte seinen Strom frei an Nachbarn und/oder Mieter verkaufen oder zukaufen. Dafür müsste die Rechtsgrundlage geändert werden (1).
Es ist offensichtlich, dass unser Modell angesichts der heutigen politischen Kräfteverhältnisse auf der Insel „Utopia“ angesiedelt ist. So ist z.B. bisher die Rückübertragung des kommunalen Stromnetzes ins Eigentum unsrer Stadt gescheitert. Dennoch setzen wir auf die Kraft einer attraktiven Bürgerenergie:
- Kostenargumente spielen eine entscheidende Rolle
- Die Wertschöpfung bleibt in der Region („Statt Öl vom Scheich Strom vom Deich“)
- Ländliche (strukturschwache) Regionen werden attraktiv für die Ansiedlung zukunftsfähiger Industrien
- Eine Partizipation der Bürger erzeugt breite Akzeptanz
- Energy Sharing durch Bürgergemeinschaften (Beispiel Sprakebüll/Nordfriesland)
- Ohne Bürgerenergie wird die Energie-, Wärme- und Mobilitätswende scheitern
Zwar konnten die Konzerne und ihre Lobby hohe Hürden für die Installation von Bürgerstrom erwirken. Erkennbar wird dies daran, dass die Mehrzahl der Bürger ihren Solar- und Windstrom gegen eine kleine Vergütung ins Netz der Konzerne speist.
Doch die Zeit arbeitet für das erneuerbare Energiesystem
Dem Klimaschutzgesetz zufolge muss Deutschland spätestens 2045 klimaneutral sein. Die Sektorenkopplung (Wärme-, Mobilitäts- und Energiewende) erfordert laut Reiner Lemoine-Institut eine Verdreifachung des heutigen Strombedarfs von ca. 550 TWh/a auf 1.650 TWh. Das Einbahnstraßen-Stromnetz der Konzerne kann diese Strommenge nicht transportieren: Wärmepumpen und E-Autos werden weiterhin mit hohem fossilem Anteil als „Graustrom“ angetrieben. Je mehr elektrische Wärmepumpen und E-Autos auf den Markt drängen, umso massiver werden temporäre Stromabschaltungen (Brown- outs) den Ausbau der Erneuerbaren behindern. Die Bundesnetzagentur (Klaus Müller) fordert ab dem 1. Januar 2024 eine Ladezeitbeschränkung für E-Autos auf drei Stunden am Tag. Das reicht für 50 km und wäre eine weitere Hürde. Das bidirektionale Stromnetz der Bürger ist (einem zweigleisigen Schienensystem vergleichbar) dieser Entwicklung durchaus gewachsen. Darum:
Erst Solar- und Windstrom, dann Wärmepumpe und (ggfs.) das E-Auto!
(1:) https://sozialoekologisches-buendnis-ploen.de/wp-content/uploads/2023/04/Flyer_Fuer_eine_Ploener_Zukunfts-Agenda_2030-2023-05-14.pdf Seite 4 – zu finden auf unsrer Webseite unter „Archiv“, April 2023.
Autor: Hansjürgen Schulze, Vorsitzender des e.V. „Sozialökologisches Bündnis Plön“ und Mitglied im Koordinierungsrat der Ökologischen Plattform bei der Bundespartei DIE LINKE in Berlin