Jamaikas Scheitern – Chance für sozialökologische Bündnisse

Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine und Chefvolkswirt der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung UNCTAD schreibt: „Das Scheitern von Jamaika ist weniger schlimm als die Tatsache, dass in Deutschland die große Mehrheit der gewählten Politiker keinerlei Konzept für das Regieren hat. Das ist die historische Chance für eine neue Linke“ (1). Von vornherein habe CDU, CSU, FDP und Grünen ein Kompass gefehlt, eine gemeinsame Idee. Das einzige, das sie verbinde, sei eine Augen-zu-und- durch-Haltung. „Die Krise in Europa mit all ihren Folgen, die enorm gestiegene Ungleichheit in Deutschland und der Welt, die für den internationalen Handel katastrophale außenwirtschaftliche Bilanz Deutschlands, die drohende Armut der Rentner und die existierende Armut der Empfänger staatlicher Sozialleistungen, die marode Infrastruktur im Bildungsbereich und anderswo, die sich rasch fortsetzende Privatisierung des gesamten Gesundheitswesens und ihre inhumanen Ergebnisse, der drohende Kollaps der automobilen Mobilität in Deutschland oder die Unfähigkeit, ein plausibles energetisches Gesamtkonzept vorzulegen: All das sind keine Themen, mit denen sich schwarz-gelb-grün beschäftigen möchte“. Die Sondierungsgespräche seien gleich zu Beginn inhaltlich schon am Ende gewesen, nachdem man darauf geeinigt hatte, weiterhin einen ausgeglichenen Bundeshaushalt anzustreben (2).

Der Kardinalfehler habe in der „Übereinkunft“ gelegen, der Bund müsse „sparen, weil wir sonst die zukünftigen Generationen mit unseren weiteren Schulden belasten.“ Das exakte Gegenteil sei richtig: „Man muss ja nur eine ganz simple Rechnung aufmachen, um zu sehen, wie alle Generationen der Gesellschaft betrogen werden. Nehmen wir an, man hätte die (marode; H.S.) Brücke im Saarland und alle anderen Brücken, die gefährlich sind, mit staatlichem Geld in einem großen Infrastrukturprogramm genau darin zu sanieren begonnen, als die de facto Nullzinspolitik (also zuerst Realzins Null und jetzt sogar Nominalzins Null) absehbar war, also 2011 spätestens. Nehmen wir weiter an, der Staat hätte dazu 50 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufgenommen und bis heute vollständig ausgegeben. Jenseits aller unmittelbaren Vorteile, die für die Volkswirtschaft dabei in Form von höheren Einkommen und mehr Jobs, größerer Verkehrssicherheit, geringerer ökologischer Belastungen durch Staus, weniger Stress usw. angefallen wären, hätte auch der Staat durch höhere Steuereinnahmen unmittelbar Vorteile gehabt. Dagegen waren seine Zinszahlungen durchweg nahe Null.“ Das gelte „immer, solange es unterausgelastete Kapazitäten und Deflation gibt. (…) Das Vermögen des Staates ist aber bei der Sanierung oder dem Neubau der Brücken mit Sicherheit gestiegen, so dass sich hier, also bei dem einzigen wirtschaftlich sinnvollen Vergleich im – vollkommen unwahrscheinlichen – schlechtesten Fall nichts verändert hat, also Vermögen und Schulden im gleichen Maße gestiegen sind. Auch mehr Bildung und mehr ökologische Vorsorge erhöhen das gesellschaftliche Vermögen. Im Normalfall wird sich das Verhältnis von Vermögen und Schulden durch die staatliche Aktivität klar verbessern, weil die gesamtwirtschaftlich positiven Effekte der staatlichen Investitionen auf jeden Fall das Vermögen der Gesellschaft insgesamt stärker erhöht haben als die Schulden“ (3).

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Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation

Die Zeit, in der wir leben, ist durch den Übergang von der fossilistischen Industriegesellschaft zur klimaverträglichen (Welt-) Gesellschaft charakterisiert. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) spricht von einer „Großen Transformation“ (Energiewende, ökologische Landwirtschaft, Umbau der Städte), welche in Augenhöhe mit den beiden anderen großen Transformationen in der Menschheitsgeschichte agiert: der neolithischen Revolution (Übergang vom Jäger- und Sammlerstadium zur Agrarwirtschaft) und der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. „Dies ist die erste große Transformation in der Menschheitsgeschichte, die bewusst politisch herbeigeführt werden muss“ (4, S. 97). Dadurch rücken Bewusstwerdungsprozesse ins Zentrum aller Bestrebungen zur Eindämmung des Klimawandels. Es reicht nicht aus, wenn Naturwissenschaftler vor den Folgen der Erderwärmung warnen. (Das Sozialökologische Bündnis Plön versteht sich als Bildungsverein zur Förderung der Bewusstwerdung auf lokaler Ebene.) – Ob der Zivilisationsschub angesichts des sich verengenden Zeitfensters realisiert werden kann, das der Klimawandel weltweit setzt, ist offen.

Wir präferieren die logisch-historische Vermittlungsmethode (5). In Stichpunkten: Im Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie z.B. den ausufernden Kosten des Vietnamkriegs der USA geriet das internationalen Finanzsystem (Bretton-Woods) ab Ende der 1960er Jahre in die Krise und damit zugleich der fordistische New Deal, wobei der zunehmend hinter der Arbeitsproduktivität zurückbleibende Anstieg der Ressourceneffizienz eine tragende Rolle einnahm. Während sich von 1950 bis 1975 in der BRD die Arbeitsproduktivität samt des damit verbundenem Lohngefüges nominell verfünffache, verdoppelte sich in etwa die Arbeitsproduktivität. So war es zum Beispiel technisch möglich, Drei-Liter-Benzinmotoren bei vernünftigen Produktionskosten standardmäßig zu installieren, doch die Automobilkonzerne verweigerten sich dem aus Profitgründen. Es wurden kritische, zunächst randstämmige Stimmen laut, welche die Nachhaltigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung hinterfragten, z.B. 1972 der MIT-Bericht an den Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums“). Zwei Entwicklungspfade zeichneten sich ab: a) die Wahrung der sozialen Errungenschaften des New Deal bei starker Verbesserung der Ressourceneffizienz – daraus entstand später der Green New Deal (GND). Variante b) – der Finanzmarktkapitalismus – setzte sich als Folge der allgemeinen Stagflation (Inflation bei fortwährender Stagnation), die Probleme deutlich verschärfend, durch (6, S. 6 ff). Angeheizt durch die Ölkrise von 1973 formierten sich in mehreren Industriestaaten die ersten Umweltbewegungen, es entstanden Umweltministerien, schließlich nahmen sich die Vereinten Nationen der neuen Herausforderung an. Der Bericht der Brundtland-Kommission von 1987 bewirkte 1992 die erste große UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro, auf der erstmals der Klimawandel breit thematisiert wurde. Neben der „Agenda 21“ beschlossen die 172 Teilnehmerstaaten  einen Rahmen für die Klimaschutzverhandlungen zwischen den Vertragsstaaten (Conference of the Parties COP). Seit 1995 findet in wechselnden Staaten jährlich ein Klimakongress statt: COP 1 in Berlin (1995), COP 3 in Kyoto (1997: „Kyoto-Protokoll“) usw. (7).

Parallel entfalteten sich neue Umwelttechnologien: Vor 1980 errichteten „Pioniere des Wandels“, oft belächelt, die ersten Windräder, noch vor der Jahrhundertwende nahmen die ersten PV-Anlagen ihren Betrieb auf. 2009 propagierten die kalifornischen Wissenschaftler Mark Z. Jacobson und Mark A. Delucchi mit Blick auf die COP 15 in Kopenhagen ihren „Plan für eine emissionsfreie Welt in 20 Jahren“: Bis 2030 seien 100 % erneuerbare Energien in den drei Sparten Strom, Wärme und Mobilität weltweit sowohl technologisch realisier-, als auch finanzierbar. Nur mangelndes gesellschaftliches Bewusstsein und mangelnder politischer Wille könnten die Realisierung noch hinauszögern.

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Mit den Erfolgen der Energiewende verkomplizierten sich die Umstrukturierungsprozesse, z.B. beim Ausbau der Stromleitungsnetze. Zugleich verstärkte sich der Widerstand des fossilen Imperiums.  Diese Phase ist nicht durch lineare Veränderungsprozesse gekennzeichnet, sondern durch schwierige Umstrukturierungsprozesse, durch die Notwendigkeit beschleunigter und breitenwirksamer Reformen, um Pfadabhängigkeiten zu überwinden, durch chaotische und unsichere Veränderungen sowie Dynamiken in unterschiedlichen Handlungsfeldern, die sowohl positive als auch negative Rückkopplungsschleifen auslösen können“ (4, S. 99). Die Große Transformation muss gegen zahlreiche Blockademechanismen und Beharrungskräfte durchgesetzt werden, wobei laut WBGU (2011) die entscheidenden Weichen innerhalb der nächsten 10 Jahre gestellt werden müssen.

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima (2011) erreichte in der BRD das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer Energiewende die Mitte der Gesellschaft (4, S. 99). Die UN-Nachfolgekonferenz „Rio plus 20“ installierte 2012 eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der UN-Agenda 2030 (17 nachhaltige Entwicklungs- und 169 Unterziele) – am 25.9.2015 wurde sie von der UN-Vollversammlung beschlossen. Drei Monate später gelang auf der COP 21 in Paris ein Durchbruch. Trotz verschärfter gesellschaftlicher Kämpfe (Claudia Kemfert: „Das fossile Imperium schlägt zurück“) geht es fortan um die Umsetzung.

Konsequenzen nach der geplatzten Jamaika-Sondierung

Das fossile Imperium hat seine Machtbasis in allen Bundestagsparteien – zur Gänze in AfD und FDP, den Wirtschaftsflügeln von CDU/CSU und SPD, aber auch im Landesverband Brandenburg der Linkspartei. Die Kräfte des sozialökologischen Wandels sind in den linken Flügeln von Grünen, LINKEN, SPD und teilweise der CDU zu orten. Besonders zeigt sich dies bei den GRÜNEN: Die Parteilinke dominiert regelmäßig die Programmdebatten, doch Spitzenpersonal und Machtstrukturen werden von „Realos“ geprägt. Die linken Flügel von Grünen, Linkspartei und SPD sollten, statt sich bei einer Entscheidung zwischen Neuwahlen und Duldung einer CDU-geführten Minderheitsregierung zu verzetteln, über den Tag hinaus denken und ab sofort  die Große Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft als Katalysator für eine gründliche Modernisierung ihrer Parteien verstehen. Bereits die Finanzierungsfragen der Energiewende (8) lassen erkennen, dass es einer umfassenden Befreiung der Gesellschaft(en) von allen finanzmarktkapitalistischen Einhegungen bedarf.

1: https://makroskop.eu/2017/11/kein-konzept-keine-zukunft/?success=1                                                                      

2: https://makroskop.eu/2017/11/denn-sie-wollen-nicht-wissen-was-sie-tun-koennten/                                        

3:  https://makroskop.eu/2016/03/grosses-chaos-in-einem-kleinen-land-oder-der-betrug-an-allen-generationen/?success=1   

4:http://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu.de/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/jg2011/wbgu_jg2011.pdf                                                                                                                                  

5:  http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_615.htm#Kap_3                                                                                    

6: http://www.rla-texte.de/wp-content/uploads/2017/03/2017-03-12-Land_Kapitalismus-reloaded-mit-Bild.pdf                                                                                                                                                                                     

7: https://de.wikipedia.org/wiki/Kyoto-Protokoll#1992:_Rio_und_die_Klimarahmenkonvention

8: https://sozialoekologisches-buendnis-ploen.de/sozialoekologischer-umbau-grundlagen-teil-2-kreditbasierte-finanzierungskonzepte/