Lehre aus der Kieler Landtagswahl: Die LINKE sollte ihr eigenes Programm umsetzen

Am 19. Juni schrieben die beiden LandessprecherInnen der Linkspartei in Schleswig-Holstein einen Mitgliederbrief. In Vorbereitung auf die nächsten Wahlkämpfe – Bundestags- und Kommunalwahl – empfehlen sie den Mitgliedern, nunmehr mit verstärkter Kraft für den linken Markenkern „soziale Gerechtigkeit“ zu streiten und die Abgehängten aus ihrer Resignation herauszuholen, aber auch die Landesarbeitsgemeinschaften zu reaktivieren, z.B.in der Bildungs- und Verkehrspolitik. Der Klimawandel spielt dabei keine Rolle. Das halte ich für zu eng gedacht. Schließlich sind es vor allem die Einkommensschwachen, die unter dem Klimawandel am stärksten leiden. Diesen Brief schrieb ich gestern an die beiden Landesvorsitzenden Marianne Kolter und Gösta L. Beuthin:

„Liebe Marianne, lieber Gösta,
ich find Euren Mitgliederrundbrief vom ca. 19. Juni hilfreich. Als Mitglied des Koordinierungsrats der Ökologischen Plattform in und bei der Bundespartei (ÖPL) kam ich dem Auftrag nach, eine Einschätzung des Landtagswahlkampfs von SH aus sozialökologischer Perspektive zu geben. Ich teile Eure am Beispiel von Kiel-Nord getroffene Beobachtung, dass es möglich ist, urbane Mittelschichten zu gewinnen. Weil Kiels Uni in diesem Gebiet liegt, liegt die Vermutung nahe, es könnten neben ErstwählerInnen vor allem ehemalige WählerInnen der Grünen sein, die aus Enttäuschung über sozialpolitische Defizite dieser Partei die LINKE wählten.

Diese Vermutung teilt auch der SprecherInnenrat der ÖPL. Am kommenden Sonntag sollen die TeilnehmerInnen des diesjährigen Bundestreffens der ÖPL in Erfurt u.a. beschließen:
„Die Teilnehmer des Treffens bedauern die Aussparung ökologischer Themen bei den Hauptreferaten des Parteitages in Hannover (z.B. Riexinger, Kipping, Wagenknecht, Bartsch, Gysi). Eine ganze Reihe Änderungsanträge zur Stellung der Ökologie in der LINKEN fanden nicht den Weg ins Wahlprogramm. Das widerspricht Erfahrungen aus den Landtagswahlen 2017 in drei Bundesländern, die zeigen, dass allein mit sozialen Themen zu wenige Wähler angesprochen werden, die LINKE zu wählen. Mit sozial-ökologischen Themen werden die Mittelschichten besser erreicht.
Dennoch ist das beschlossene Wahlprogramm eine gute Grundlage, um auch auf ökologischen Gebieten einen erfolgreichen Wahlkampf führen zu können. (…) Vielen links und ökologisch eingestellten Menschen ist für ihre Wahlentscheidung wichtig, was die LINKE zu den Überlebensfragen der Menschheit, wie Erderhitzung, Artensterben, Umweltvergiftung, Waldrodungen, Hungergebiete, Wassermangel, Wüstenbildung usw. zu sagen hat und welche politischen Vorschläge sie macht. Wähler müssen darüber hinaus über die Vorstellungen der LINKEN zum sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft und Wirtschaft aufgeklärt werden, denn auch dieses Thema kommt im Wahlprogramm zu kurz, ist aber wesentlicher Inhalt LINKER Programmatik.“

Es ist ja tatsächlich so, dass die Menschheit sich angesichts des Klimawandels bereits in einer weltweiten Umbruchsituation befindet. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU, er wurde 1992 im Vorfeld der großen UN-Umweltkonferenz zu Rio vom damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer als parteiunabhängiges Gremium prominenter WissenschaftlerInnen installiert) sprach schon in seinem Hauptgutachten von 2011 („Welt im Wandel“) von einer „Großen Transformation“, die an Tiefe und Bedeutung den beiden anderen großen Umbrüchen in der Geschichte der Menschheit, der neolithischen und der industriellen Revolution, ebenbürtig ist. Im Jahr 2015 gab es diesbezüglich drei große Beschlüsse: a) am 24. Mai die Enzyklika von Franziskus „Laudato si!“ mit dem Kernsatz „Kapitalismus tötet!“, die vor allem weltweite soziale Gerechtigkeit einfordert; b) den Beschluss der „Agenda 2030“ auf der UN-Vollversammlung im September mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen und c) im Dezember das Pariser Klimaabkommen. In wenigen Wochen, auf dem Hamburger G20-Gipfel, soll die Bundesregierung die Initiative ergreifen, dass die Beschlüsse a) bis c) zusammengeführt werden. Dass das unter neoliberalen Vorzeichen in vielen Details heuchlerisch und verlogen praktiziert werden wird, dürfte uns allen bewusst sein. Dennoch ist es aus meiner Sicht unverständlich, wenn DIE LINKE in SH so tut, als gehe sie diese Entwicklung nichts an.

Die Meinungsumfragen zum Klimawandel sind eindeutig: https://www.klimafakten.de/meldung/umfrage-klimabesorgnis-ist-weltweit-sehr-ungleich-verteilt

Die Eindämmung des Klimawandels kostet nicht nur viel Geld, sondern sie bietet große Chancen für eine ökonomische Entwicklung vor allem der ländlichen Räume (Stichworte: alternative Landwirtschaft, erneuerbare Energien, Mobilitätswende, Aufbau einer chemischen Industrie unter Abkehr von fossilen Rohstoffen gerade dort, wo nachwachsende Rohstoffe künftig produziert werden, z.B. in SH. Bisher bezeichnen Spötter das industrieschwache SH als „verlängerten Wurmfortsatz der Hamburger Lombardsbrücke“. Industrie 4.0 und viele weitere Punkte könnte DIE LINKE-SH aufgreifen, um schon bei der nächsten Kommunalwahl Zukunftsprojekte unter sozialökologischen Vorzeichen zu präsentieren. Betonung auf „sozial“. Hierzu sei noch einmal der WBGU bemüht: In seinem Sondergutachten vom Dezember 2016, mit dem er die Bundesregierung auf dem Hamburger G20-Gipfel unterstützen will, führte er die genannten Punkte a) bis c) unter sozialpolitischem Schwerpunkt zusammen (bitte ggfs. googeln).

Es sieht so aus, als könne sich gerade hier DIE LINKE profilieren. Die Grünen beschlossen gestern ihren Zehn-Punkte-Plan für die Bundestagswahl 2017. Einerseits trägt er eine neoliberale Handschrift – sie können nicht sagen, wie sie die Einschränkung des Klimawandels finanzieren wollen (die Schuldenbremse stellen sie ja nicht in Frage). Und in Ziffer sechs (soziale Gerechtigkeit herstellen) führen sie zwar viele gute Punkte an, doch die Agenda 2010 bleibt unangetastet. Folglich bleiben die andern Punkte Makulatur.

Das Sozialökologische Bündnis Plön entstand aus der Ökologischen Plattform-SH heraus. Weil die meisten GenossInnen wegen ihrer Vielfach-Funktionen nur alle zwei Monate zu den Treffen kommen konnten, war eine kontinuierliche inhaltliche Arbeit nicht möglich. Daher suchte und fand ich MitstreiterInnen auch außerhalb der ÖPF-SH. Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn DIE LINKE-SH darüber nachdenkt, Ziffer IV.4 des Erfurter Programms der LINKEN, den sozial-ökologischen Umbau als Querschnittsthema in allen Politikfeldern zu betrachten, umzusetzen. Meine Unterstützung – und ich denke, auch die meiner MitstreiterInnen im SÖBP – hätte DIE LINKE-SH allemal.

Mit besten sozialökologischen Grüßen:
Hajü Schulze.“