Vorab: Statt einer eigenen Buchrezension beziehe ich mich auf jene von Wolfgang Borchardt, Mitglied des SprecherInnenrats der Ökologischen Plattform bei der Partei DIE LINKE (1).
Noch ein Vorab: Der folgende Beitrag, abgelegt unter der Rubrik „Sozialökologischer Umbau“, soll selber zur Baustelle werden, mehrere Monate lang. Ich möchte alle LeserInnen dieses Blogs ermuntern, mir ihre Vorschläge für Änderungen zu e-mailen. Wie tragfähig ist das Gerüst: die Überschriften und ihre Reihenfolge? Was kann gestrafft, was sollte genauer ausgeführt, was kann gestrichen, was sollte eingefügt werden? Nachdem mich derlei Fragen in den letzten beiden Nächten bis in den Traum verfolgten, beginne ich nachzudenken: Viele Beispiele, die uns allen aus Michael Kopatz‘ Buch (und der Buchvorstellung im Video am Ende des Blogs!) Mut machen, sollten in meinem Blog konkreter benannt, die z.T. detailversessenen Ausführungen zu den technologisch begründeten Plänen, binnen einer Generation 100 % Erneuerbare in allen drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität zu verwirklichen, könnten gestrafft und an anderer Stelle konkretisiert werden. Vor allem um Raum zu schaffen, den Schlussteil noch überzeugender zu gestalten, der mir das Wichtigste am gesamten Blog ist: hajueschulze43@gmx.de. Danke!
Worum handelt es sich? Wir sind bereits mitten drin im Klimawandel. Technologische Entwicklungen allein reichen bei weitem nicht aus, den Anstieg der Treibhausgase einzudämmen. Ohne gleichzeitige dauerhafte Verhaltensänderungen möglichst ALLER Menschen können die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz (COP 21) nicht realisiert werden. Genügsamkeit (Suffizienz) wird zur unausweichlichen Maxime. Die Frage ist: Inwieweit braucht es zur Verhaltensänderung Druck auf die BürgerInnen, etwa durch behördliche Vorgaben mit entsprechenden Sanktionen in der Erwartung, dass die Vorgaben im Zeitverlauf durch ständige Wiederholung verinnerlicht und zur „Ökoroutine“ werden, und inwieweit ist die Masse der BürgerInnen fähig, aus innerm Antrieb, gesteuert durch ihr Bewusstsein und ihr Gewissen, den Wandel zu einer genügsamen Lebensgestaltung zu bewältigen? Hierzu der Suffizienzforscher Felix Ekardt: „Auf rein freiwilliger Basis wird Suffizienz (…) kaum zustande kommen. Das Wechselspiel des gesellschaftlichen Wandels benötigt als einen Baustein auch politisch-rechtliche Vorgaben in Richtung mehr Nachhaltigkeit“ (2).
Einer großen Mehrheit der Deutschen ist, Umfragen zufolge, die Bedrohung durch den Klimawandel durchaus bewusst, doch dieses Wissen bleibt abstrakt, solange sie nicht dieser Einsicht gemäß handeln. So bewirkt der „Rebound-Effekt“, dass viele AutofahrerInnen ihren ökologischen Fußabdruck vergrößern, indem sie die steigende Effizienz von Benzinmotoren nutzen und sich spritschluckende SUV leisten. TV-Geräte werden immer stromsparender, stattdessen wachsen die Flachbildschirme und lassen den Stromverbrauch wieder steigen. Und so weiter. Soziologen sprechen von einer kulturellen Phasenverschiebung, wenn verantwortungsbewusstes gesellschaftliches Handeln hinter den technologischen Entwicklungen zurückbleibt. Dieser Herausforderung stellt sich das Buch „Ökoroutine“ des Grünen Ratsherrn von Osnabrück Michael Kopatz, der als Projektleiter beim renommierten Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie wesentlich an der Erarbeitung der zweiten Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“ beteiligt war, die 2008 im Auftrag von BUND, „Brot für die Welt“ und Evangelischem Entwicklungsdienst erschien (3). Der Autor fokussierte sich bereits in seiner Dissertation (2006) auf „Nachhaltigkeit und Verwaltungsmodernisierung: Eine theoretische und empirische Analyse am Beispiel nordrhein-westfälischer Kommunalverwaltungen“ (4). 2010 folgte unter seiner Projektleitung eine weitere Studie des Wuppertal-Instituts: „Zukunftsfähiges Hamburg. Zeit zum Handeln“ (5), diesmal herausgegeben von BUND HH, Diakonie HH und Zukunftsrat HH – es ist das erste umfassende Nachhaltigkeitsszenario für eine deutsche Großstadt. 2013 entstand das Buch „Energiewende, aber fair! Wie sich die Energiewende sozial tragfähig gestalten lässt“ mit zahlreichen Einzelbeispielen, wie Finanzschwachen anlässlich des energiewendebedingten Anstiegs des Strompreises geholfen werden kann. Zum Beispiel durch Prepaid-Stromzähler, welche die Stromzufuhr unterbrechen, sobald das Monatsquantum überschritten wird. (Diesen Vorschlag, der u.a. Finanzschwache vor saftigen Nachzahlungen am Jahresende bewahren soll, finde ich wegen der jetzt monatlich möglichen Stromsperren wenig überzeugend. ) – In gewisser Weise ist „Ökoroutine“ dessen Fortsetzung. Während der zweistündigen Präsentation am 4. 10. 2016 lobte der Vorsitzende des Wuppertal-Instituts Uwe Schneidewind „Ökoroutine“ aufgrund der zahlreichen positiven Beispiele aus dem Alltagsleben, wie sozialökologisches Handeln zur Routine werden kann, als „in mancherlei Hinsicht dritte Studie ‚Nachhaltiges Deutschland‘“, die sich der wohl wichtigsten Herausforderung innerhalb der „Großen Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft“ stellt: den erwähnten „cultural lag“ zu eliminieren, Standards zu verbessern, Limits zu setzen und Anreize zu schaffen. Das Buch enthält eine Fülle von Beispielen, wie durch solche Vorgaben Ökoroutinen entstanden sind. Besonders beeindruckend empfinde ich den Hinweis auf die Verdrängung des Rauchens aus vielen Lebensbereichen durch Setzen politischer und gesellschaftlicher Standards. Derlei Beispiele gelungener Verhaltensänderungen machen uns Mut, unser Leben zukunftsfähiger zu gestalten.
Leider ignoriert Kopatz den sich immer stärker abzeichnenden Grundkonflikt zwischen „Establishment“ und „denen da unten“. In der Regel bedarf es gesellschaftlicher Bewegungen, um das politische Kräfteverhältnis bottom-up (von unten nach oben) in solcher Weise zu verändern, dass die politischen Eliten überhaupt derartige Standards setzen können. „Ökoroutine“ lässt sich daher auch als Feigenblatt interpretieren, um das Ausblenden dieses Grundkonflikts zu kaschieren. Siehe folgende Passage in Kopatz‘ Vortrag anlässlich der Buchvorstellung (Video am Ende dieses Blogs ab Minute 19:35): Seine Hamburger Bekannten, wohlhabende BürgerInnen, haben einen hohen ökologischen Anspruch. Aber es gehört zu ihrem Lebensstandard, im Urlaub in ferne Kontinente zu fliegen; sie leben auch sonst auf großem Fuß. „Sie tun das, weil sie es können. Und weil selbst sie das (mit der Suffizienz) nicht schaffen: Wie soll man das von der breiten Bevölkerung erwarten? Deswegen hab ich persönlich die Hoffnung aufgegeben, die Einzelnen zu überzeugen, und aus dieser Idee heraus ist das Buch ‚Ökoroutine‘ entstanden.“ Dass ein Grüner Kommunalpolitiker und Ökowissenschaftler aus seiner gehobenen Perspektive Teile der eigenen Grünen Basis nicht mehr wahrnimmt, die sich gemeinsam mit Parteilosen sowie Aktiven aus Linkspartei, SPD und Piratenpartei in Bürgerinitiativen abrackern und jene partiellen Veränderungen des politischen Kräfteverhältnisses erstreiten, die Kopatz erst die Möglichkeit zum politischen Wirksamwerden schaffen, mag Außenstehende zunächst unangenehm überraschen. Doch angesichts der Pirouetten, wie sie z.B. Baden-Württembergs Grüner Verkehrsminister Winfried Herrmann als Lobbyist der Autoindustrie und Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck im Clinch mit der Antifracking-Bürgerinitiative „Hände weg von Schwedeneck“ drehen, sollte mensch sich solcherart Erstaunen leider abgewöhnen. Der Ausgang der US-Wahl 2016 hat gezeigt, wohin es führen kann, von der Warte des Establishments auf „die da unten“ herabzublicken.
Der politische Rahmen für die Große Transformation hat sich verengt Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) verortet in seiner Studie von 2011 zur „Großen Transformation“ drei Bereiche: „Ob eine klimaverträgliche Gesellschaft entstehen kann, entscheidet sich also vor allem in diesen drei Transformationsfeldern: Trendumkehr in den Energiesystemen; klimaverträgliche Gestaltung der sich beschleunigenden Urbanisierung; klimaverträgliche Landnutzung“ (6, S. 97). Dabei unterscheidet der WBGU mehrere Entwicklungsphasen: Seit den 1970er Jahren seien „kritische, zunächst randständige Stimmen laut (geworden), die die Nachhaltigkeit des etablierten Modells hinterfragen.“ Aus diesen Akteuren haben sich „auf der unteren Ebene (…) Nischen und Pioniere des Wandels“ u.a. in Gestalt von Umweltbewegungen herausgebildet. Zwei Dekaden später haben sich die einstigen Pioniere „auch innerhalb der etablierten Strukturen der Wirtschaft ausgebreitet“ und „schwierige Umstrukturierungsprozesse“ eingeleitet. Gegenwärtig müsse „der Umbruch gegen viele Blockademechanismen und Beharrungskräfte durchgesetzt werden. (…) Nun müssen in den nächsten 10 Jahren die richtigen Weichenstellungen in Richtung Nachhaltigkeit erfolgen“ (6, S. 98-100). Doch der Widerstand Seitens der Kohle- und Atomindustrie im Zusammenspiel mit ihrer Lobby in CDU und SPD ist seitdem spürbar gewachsen. Das einst dynamische Wachstum der Erneuerbaren ist ins Stocken geraten, es drohen verheerende Folgen für die deutsche Volkswirtschaft. Ob die GRÜNEN weitere Koalitionen mit der Energiewendeverhinderungspartei CDU eingehen oder aber zu ihren Basics im sozialökologischen Bündnis mit linken Kräften zurückfinden, ist derzeit offen.
Warum ist Ökoroutine so eminent wichtig? Die technologischen Möglichkeiten einer gelingenden Energiewende sind belegbar und plausibel: Schon 2009, im Vorfeld der Kopenhagener Klimakonferenz, erstellten die renommierten kalifornischen Wissenschaftler Mark Jacobson und Mark DeLucchi einen „Plan für eine emissionsfreie Welt in 20 Jahren“ (7). Sie ermittelten für das Jahr 2030 eine dann erforderliche weltweite Stromkapazität von 11.500 GW (Gigawatt) in allen drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität, die vollständig aus der Kraft von Wind, Wasser und Sonne gespeist werden müsse. Dies sei technisch machbar und angesichts stark sinkender Preise z.B. für Photovoltaik auch finanzierbar. Unsicher sei lediglich die Entwicklung der politischen Kräfteverhältnisse bezüglich der Umsetzung ihres Plans. – Im Juni 2016 publizierte die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft ihre Sektorkopplungsstudie (8). Deutschlandweit seien 100 % Erneuerbare bis 2040 technisch möglich (und finanzierbar). Um fossile Energien und Atomstrom in den drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität durch Erneuerbare komplett zu ersetzen, bedürfe es einer Gesamtkapazität von 717 GW (d.h. 6,2 % des Weltbedarfs von 11.500 GW). Dazu müsse sich die aktuelle Nutzung des Windes onshore verfünf-, der Sonne verzehnfachen. (Ergänzung durch mich: Der Investitionsaufwand liegt derzeit bei 1.500 € je Kilowatt Kapazität für Wind- und Solarenergie, bei weiterhin sinkender Tendenz. Überschlägig gerechnet, laufen 717 GW auf ca. 1 Billion Euro Investitionsaufwand innerhalb der nächsten 24 Jahre hinaus, pro Jahr etwa 42 Mrd. Euro – das Sinken der Preise wird die derzeit noch nicht erfassbaren Kosten für Speicherung und Stromleitungsausbau wohl kompensieren. Allerdings kommen weitere Beträge hinzu, z.B. für Wartung und Zinsen. Gegenzurechnen sind die regionale Wertschöpfung durch verbreitetes Bürger-Engagement, z.B. in Energiegenossenschaften, sowie Einsparungen beim Import von Erdöl, Erdgas und Kohle: „Statt Öl vom Scheich – Strom vom Deich!“. Das alles halte ich für plausibel und realisierbar.) Der Jahresstromverbrauch von derzeit ca. 600 Terawattstunden (TWh), wird zu 33% durch Erneuerbare gespeist. Er würde sich durch eine Sektorkopplung, d.h. Verbindung der drei Sektoren zu einem Gesamtkonzept, bei ungebrochener Fortsetzung der derzeitigen energetischen Verschwendung auf 3.000 TWh verfünffachen. Das alles durch Erneuerbare zu realisieren ist illusionär (8, S. 26 ff). Die genannte Kapazität von 717 GW Erneuerbarer Energie entspricht etwas mehr als einer Verdopplung des heutigen Jahres-Stromkonsums bzw. einer Versiebenfachung der gegenwärtigen EE-Produktion auf 1.320 TWh. Umgerechnet pro Jahr und Einwohner der BRD: Ich selber konsumiere 1.000 Kilowattstunden Haushaltsstrom (= 1 Megawattstunde MWh). Der deutschlandweite Pro-Kopf-Stromverbrauch, inklusive Bedarf der Industrie, beträgt ca. 7 MWh. Ohne massive Effizienzmaßnahmen und Reduktion des Stromverbrauchs durch Genügsamkeit (Suffizienz) würde der Strombedarf auf gigantische 36 MWh steigen. Das Ziel besteht in einer extrem anspruchsvollen Senkung dieses errechneten Bedarfs auf 16 MWh. Diese Aufgabe ist so gigantisch, dass die von Kopatz angestrebten Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen dürften. Dies zeigt, wie eminent wichtig der „subjektive Faktor“ ist: die Entwicklung der INNEREN Bereitschaft aller BürgerInnen, die Eindämmung des Klimawandels zur BEWUSSTEN „Ökoroutine“ werden zu lassen.
Größter Schwachpunkt der „Ökoroutine“: das Menschenbild Einem gelernten DDR-Bürger und Physiker wie Wolfgang Borchardt, der während des Studiums die obligatorischen Grundlagenkurse des „Marxismus-Leninismus“ belegte, springen Schwachpunkte der „Ökoroutine“ wie dieser sofort ins Auge: „Die Idee dahinter: Durch Standards, Grenzwerte, Limits gewöhnen sich alle an die veränderten Rahmenbedingungen und handeln aus Gewohnheit ökologisch. Daher ist es nicht nötig, sich in jedem Fall bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden“ (1). Denn die ökonomischen Verhältnisse und weitere äußere Autoritäten wie der Staat oder „die Gesellschaft“, vermittelt durch Institutionen wie Bekanntenkreis, Medien, selbst gemütliche Vorweihnachtsfeiern in Vereinen üben Druck auf das Individuum zu gruppenkonformem Verhalten aus, sodass sich selbiges letztendlich den „äußeren Gewalten“ beugt bzw. verbiegen lässt (Konsum als Kompensation von Fremdbestimmung). Kopatz‘ Ökoroutine ist lediglich eine weitere Interiorisation (Verinnerlichung) von Normen, die von außen gesetzt sind, mit ungewissem Ausgang. So sind „die Menschen“ in ökonomischen Krisen vollständig mit der Bewältigung ihrer unmittelbaren Lebensbedingungen konfrontiert, sodass ihnen ökologische Aspekte unendlich fern erscheinen und sie bei erstbester Gelegenheit Rebound-Effekte nutzen.
Kopatz‘ makroönomische Ausführungen lassen den Wunsch nach einer Rückkehr in die 1970er Jahre erkennen. An diversen Stellen fällt der Name Keynes, doch ich vermisse die u.a. von Heiner Flassbeck, einem engagierten Keynesianer, vertretene Forderung, an Stelle von Einzelfallhilfen auf breiter Front die Löhne der stark gestiegenen Arbeitsproduktivität anzupassen. Um sich frei für einen genügsamen Konsum entscheiden zu können, bedarf es insbesondere bei Finanzschwachen der Freiheit von Not und von Furcht vor Not. Dem stehen Top-down-Orientierungen des politischen Establishments entgegen. Deren Wirkmächtigkeit mussten z.B. DDR-BürgerInnen millionenfach erfahren, bevor sie sich bottom-up zu wehren begannen. Das dahinter stehende Menschenbild ist nicht nur mit den herrschenden neoliberalen Verhältnissen kompatibel: es entspricht den entfremdeten Basisstrukturen jeder bürgerlichen Gesellschaft, nachzulesen unter anderem bei Erich Fromm in „Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“, geschrieben 1976 als Reaktion auf die weltweite Verdrängung der 1972 publizierten Warnung des Club of Rome vor den „Grenzen des Wachstums“.
Dreh- und Angelpunkt eines Menschenbilds, das die positiven Kräfte jedes Einzelnen zur bewussten Gestaltung seines Lebensumfelds in den Fokus stellt, ist die 6. Feuerbachthese von Marx. Gegen die herrschenden Gedanken seiner Zeit, wie sie in Hegels grandiosem System als Zusammendenken der entstehenden Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft im Gefolge der Französischen Revolution zum Ausdruck kamen, hatte der Philosoph Ludwig Feuerbach argumentiert, Hegels System sei ein konsequenter Ausdruck des herrschenden Denkens als des Denkens der Herrschenden, in welchem sich die neuen bürgerlichen Lebensverhältnisse in idealistisch verdrehter Weise spiegeln. Im Zentrum dieses Zusammendenkens stand der „Weltgeist“, der ursprünglich sich „entzweit“, d.h. aus sich selbst heraus (analog zur biblischen Schöpfungsgeschichte) die Natur geschaffen, den Widerspruch zwischen Geist und Natur (bzw. „Materie“) in historischem Prozess über die Antike, das Mittelalter und die Neuzeit immer höher getrieben hat und schließlich in der neuen bürgerlichen Gesellschaft, kraft seiner Überlegenheit über Natur und Gesellschaft herrschend, sich mit sich selbst versöhnt, wobei bei genauer Betrachtung der reaktionäre Preußengeist, konzentriert in den Seminaren der Berliner Universität, an der Spitze des allgemeinen Fortschritts der Menschheit steht. Damit wird der Doppelcharakter der Hegelschen Philosophie deutlich: Seine dialektische Entwicklungskonzeption erwies sich als außerordentlich fruchtbar und wurde von Marx weiterentwickelt, andrerseits erwies sich Hegels reaktionäres System als säkularisierte Religion. Gegen Letztere opponierte Feuerbach: Gedanken können niemals ohne die Existenz eines denkenden Hirns wirken, jedes Gottes- oder Götzenbild sei Resultat anthropomorpher Projektion: „Das göttliche Wesen ist nichts anderes als das menschliche Wesen“ (9). Ludwig Feuerbach stellte „den“ abstrakten „Menschen“ und dessen ebenso abstraktes „Wesen“ in den Vordergrund, nicht jedoch die Individuen als historisch-konkrete Ausprägungen ihrer Gattung. Wie viele seiner Zeitgenossen innerhalb des Vormärz war auch Marx von Feuerbachs radikaler Hegelkritik begeistert. Zugleich erkannte er ihren Schwachpunkt, die Negation des dialektischen Entwicklungsgedankens: „Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (10), ist also historisch bedingt. Schon ein Jahr zuvor, 1844, hatte Marx die charakteristischen Beziehungen der historisch-konkreten Individuen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen ihrer Zeit aufgedeckt: „Man sieht, wie die Geschichte der Industrie und das gewordne gegenständliche Dasein der Industrie das aufgeschlagne Buch der menschlichen Wesenskräfte, die sinnlich vorliegende menschliche Psychologie ist, die bisher nicht in ihrem Zusammenhang mit dem Wesen des Menschen, sondern immer nur in einer äußern Nützlichkeitsbeziehung gefaßt wurde. (…) Die Geschichte selbst ist ein wirklicher Teil der Naturgeschichte, des Werdens der Natur zum Menschen“ (11). Demzufolge besteht Mensch-werdung generell in der aktiv-schöpferischen Aneignung jener mit der Natur in Wechselwirkung stehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in welche die Menschen hineingeboren werden: jeweils in einem lebenslangen Sozialisationsprozess, der mehr oder weniger gut gelingen, aber auch verfehlt werden kann, gebrochen durch die Vielfachkatastrophen und Entfremdungen ihrer bzw. unserer Zeit. Menschen eignen sich ihre Lebensbedingungen an, indem sie diese trotz aller Behinderungen aktiv-schöpferisch gestalten, zum Beispiel mitwirken bei der Entwicklung ihrer Region mittels Erneuerbarer Energien, wobei jede Generation das von ihrer Vorgängerin Geschaffene weiter auf- oder umbaut. In diesem Sinne plädiere ich dafür, mit Kopatz‘ „Ökoroutine“ über Kopatz hinauszugehen: „Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden“ (12).
Plön, 5. November 2016. Hansjürgen Schulze
Literatur:
1: https://www.oekologische-plattform.de/oekoroutine/
2: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/sun/article/download/1755/1689 , S. 18
4: http://oops.uni-oldenburg.de/80/1/kopnac06.pdf
7: http://www.spektrum.de/magazin/plan-fuer-eine-emissionsfreie-welt-bis-2030/1010840
8: http://pvspeicher.htw-berlin.de/wp-content/uploads/2016/05/HTW-2016-Sektorkopplungsstudie.pdf
9:Feuerbach, Ludwig: „Das Wesen des Christentums“: Werke in sechs Bänden, Ffm 1975, Bd. 5, S. 32
10: http://www.kpd-ml.org/doc/marx/MEW_Band03.pdf ,S. 6
11: http://www.kpd-ml.org/doc/marx/MEW_Band40.pdf ,S. 542-544
12: http://www.kpd-ml.org/doc/marx/MEW_Band25.pdf ,S. 828