Verkehrskonzept Kreis Plön – linke Splitter

Vorbemerkung: Sozialökologischer Gesellschaftsumbau ist mehr als nur der Versuch, ein neues Feld der politischen Auseinandersetzungen zu bespielen, etwa in Augenhöhe mit dem Wohnungs-, Gesundheits- oder Bildungswesen. Hier wird auch nicht „Ökologie“ der „sozialen Gerechtigkeit“ mechanisch gegenübergestellt und darüber gestritten, welchem von beiden der Vorrang gebührt. Es geht um einen UMBAU der Gesellschaft in ihrer Totalität, mit all ihren einzelnen Spielfeldern, von denen keines mehr bleiben wird, wie es vorher war. Vorher, das ist das heutige marktradikale (neoliberale) System. Sozialökologische Transformation bedeutet Wiedereingliederung des Marktes in die Gesellschaft (vgl. Karl Polanyi 1944: „The Great Transformation“). Nachher, das wird eine Gesellschaft sein, welche die demokratische Herrschaft über den Markt ausübt: „Die ‚Springquellen des Reichtums‘ sind angesichts der Vernutzung der natürlichen Ressourcen nicht unendlich, sondern müssen in ihrer Allokation sparsam genutzt werden. Dies zu bewerkstelligen, gibt es bisher keine Alternative zu Ware-Geld-Beziehungen und Preisen. Es geht also nicht darum, alles zu vergemeinschaften, sondern über den Staat Gesetze und politische Entscheidungen durch die Mehrheit der Menschen Produktion, Verteilung und Austausch zu kontrollieren und im Dienste der Mehrheit zu gestalten“ (E. Crome: „Anmerkungen zur Kommunismus-Debatte. Gesellschaft und Gemeinschaft“, ND 22.1.2011). Dieses Feld kann unter gegebenen Strukturen nur erfolgreich bespielt werden, wenn gemeinsame antineoliberale Koalitionen aus Linken, Grünen und Sozialdemokraten im Dienste der Bevölkerungsmehrheit aus künftigen Wahlen hervorgehen.

Aus der ÖPF-SH (Ökologische Plattform der Linkspartei-SH) haben sich einzelne Mitglieder zu kontinuierlicher Arbeit organisiert, um gemeinsame Konzeptvorschläge zur sozialökologischen Transformation auf regionaler Ebene zu entwickeln. Das betrifft drei strategische Hauptfelder: Energiewende, Mobilität und Alternative Landwirtschaft.

Zum Stellenwert des Region Building: „Globalisierung als ein widersprüchlicher Vergesellschaftungsprozess bedeutet Entgrenzung betrieblicher Prozesse und damit der Reproduktion individueller Kapitale. Dabei findet gleichzeitig Regionalisierung statt – die Herausbildung von Räumen, in denen die dort Lebenden auf Grund von verdichteten historischen, kulturellen und ökonomischen Beziehungen, in ihren sozialen und natürlichen Lebensbedingungen besondere Gemeinsamkeiten aufweisen“ (1,199). „Man könnte Regionalisierung (…) als den Prozess bezeichnen, in dem sich Menschen die Macht über die Prozessgestaltung (zurück)holen. Indem sie auf regionaler Ebene gestaltend wirken und damit den Globalisierungsprozess beeinflussen“ (2).

Schleswig-Holstein mit seiner traditionellen Wirtschaftsschwäche (schmale Industriebasis bei einem relativ starken, aber im Verhältnis etwa zu Hamburg als geringwertig eingeschätzten Dienstleistungssektor mit eher gering qualifizierten Beschäftigten, z.B. im Tourismus) ist infolge seiner Brückenfunktion zwischen Mitteleuropa und Skandinavien auf den Ostseeraum ausgerichtet. Nennenswerte Industrien finden sich lediglich im Hamburger Speckgürtel sowie in Lübeck und Kiel. Aus Sorge, in seiner Entwicklung gegenüber süddeutschen Wachstumsregionen weiter abgehängt zu werden, forcieren Kiels Landesregierungen seit Jahrzehnten die Ostseekooperation (3). Schon die Pendlerströme aus den Kreisen Plön und Rendsburg-Eckernförde in die Landeshauptstadt sowie die kulturellen und Shoppingbedürfnisse der Bevölkerung verweisen auf den Stellenwert der Regionalentwicklung im einstigen K.E.R.N.-Gebiet (K=Kiel, E=Eckernförde, R=Rendsburg, N=Neumünster, die Punkte symbolisieren Plön). Von da aus gesehen ist der 3. Regionale Nahverkehrsplan des Kreises Plön von 2013 (4) nicht mehr auf der Höhe der Zeit – perspektivisch zielführender scheint die von der TU Dresden durchgeführte Verkehrserhebung „Mobilität in deutschen Städten“, die die gesamte Region um Kiel als eine verkehrstechnische Einheit betrachtet, aber – das ist ihr Manko – sich auf den städtischen Raum fokussiert (5).

Verkehrswende heißt: Ausstieg aus der Autogesellschaft „Die Auseinandersetzung um langfristig wirksame, kostenintensive Konzepte und Projekte gehört in der kommunalen Verkehrsplanung zur Tagesordnung. (…) Im kritischen Fall kann der Rückgriff auf veraltete Datengrundlagen zu Fehleinschätzungen und teuren Fehlinvestitionen führen sowie die Gerichtsbeständigkeit von Beschlüssen gefährden. Hier stecken viele Städte in einem Dilemma: Einerseits ist eine zunehmende Dynamik struktureller und verhaltensbezogener Entwicklungen spürbar. Sie äußert sich u. a. im demographischen Wandel, in der Zunahme von Radverkehr und ÖV, in der Abnahme der Pkw-Nutzung und in veränderten Wertevorstellungen v. a. der jüngeren Generation“ (6). Andrerseits verschlingen solche Untersuchungen erhebliche öffentliche Finanzen, sodass das öffentliche Bewusstsein über die Mobilität speziell in ländlichen Regionen noch auf veralteten Vorstellungen beruht.

Im Kreis Plön verfügen 57 Prozent der Einwohner über einen PKW. Im Bundesdurchschnitt sind es 54, in Berlin sogar nur 36 vom Hundert. Hartnäckig hält sich die Meinung, attraktiver öffentlicher Verkehr lasse sich zwar in Großstädten, aber nicht auf dem flachen Land organisieren, weshalb alle Versuche zu einer Verkehrswende weg vom Auto scheitern müssten. Moderne Mobilitätsanalysen widerlegen die Annahme besonders weiter Wege im ländlichen Raum. Auch dort dominieren kurze Wege, weil hiesige Kleinstädte und Dörfer noch relativ kompakt sind. Bis zu 80 Prozent dieser kurzen Wege könnten zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigt werden. Doch schon die Strecken vom Dorfrand zum Laden oder zum Kindergarten oder zu Bekannten werden gewohnheitsmäßig mit dem Auto bewältigt. Zu Fuß geht man allenfalls am Wochenende spazieren. Neuere Untersuchungen belegen, dass auch auf dem flachen Land der Trend zu ÖPNV, zu Rad- und Fußverkehr sowie zum Car-Sharing zunimmt.

Insbesondere die Sharing-Economy wächst DIE LINKE in Schleswig-Holstein hat Car-Sharing bisher nicht auf ihrem Schirm. In ihrem Entwurf für das Landtagswahlprogramm 2017 „Mobilität für alle – sozial-ökologische Verkehrswende einhalten (Arbeitstitel)“ wird Mobilität abstrakt als „ein Grundrecht, notwendige Bedingung für Freizügigkeit und selbstbestimmte Teilhabe am sozialen, ökonomischen und kulturellen Leben in einer demokratischen Gesellschaft“ erkannt. Eine „abgestimmte und nachhaltige Verkehrsplanung“ solle sich „an den tatsächlichen Mobilitätsbedürfnissen der Einwohnerinnen und Einwohner“ orientieren und „ökologische Gesichtspunkte primär“ berücksichtigen. Eine die aktuellen Entwicklungen spiegelnde Konzeption ist nicht zu erkennen.

„Jeder dritte Deutsche kann sich vorstellen, auf Eigentum zu verzichten und stattdessen Produkte lieber zu tauschen und zu teilen. In der Generation der 14- bis 29-Jährigen findet sogar fast jeder Zweite (47 Prozent) diesen Gedanken reizvoll. (…) Der Markt an Angeboten zum Tauschen, Ausleihen und Teilen von Waren und Dienstleistungen, die sogenannte Sharing-Economy, wächst. 45 Prozent der Deutschen glauben laut ZukunftsMonitor an einen positiven Einfluss des Trends auf die Gesellschaft. Zugleich wünschen sich die Hälfte der Befragten mehr Informationen über die gesellschaftlichen Folgen. Besonders positiv schätzen die Deutschen den Effekt für die Umwelt ein: 66 Prozent meinen, dass Sharing-Angebo-te einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Allerdings sagen 73 Prozent der Befragten, dass Angebote der Sharing-Economy in Städten besser funktionieren als auf dem Land“ (7).

Dass es auch anders geht, zeigt die 1.600-Seelen-Gemeinde Schönstadt bei Marburg/Lahn: Ein Verein mit 40 Mitgliedern und 64 Fahrberechtigten betreibt Car-Sharing mittels zweier Elektro-PKW vom Typ Renault-Zoe sowie eine eigene Ladesäule. Jahresbeitrag pro Mitglied 60 Euro, die PKW-Nutzung (all inclusive) beträgt 3,20 €/Stunde, ab 21 Uhr 1 €. (Zum Vergleich: Eine vierköpfige Familie möchte einen Ausflug in die Umgebung unternehmen – 6 Stunden, 70 km Strecke. Mit dem eigenen PKW würde das kosten: 70 km à 30 Ct/km = 21 €. Mit dem geteilten Auto: 6 Std. à 3,20 €/Std = 19,20 €.) – Außerhalb der Geschäftszeiten steht der kommunale E-Transporter (Kangoo) für die Beförderung sperriger Güter zur Verfügung. Dadurch entfällt für viele der Anreiz, einen eigenen (Zweit-)PKW zu unterhalten (8).

ÖPNV in der Fläche: Ungeahnte Potenziale Wie hinterwäldlerisch das Scheitern der Kieler Stadt-Regional-Bahn insbesondere durch die CDU im Kieler Umland ist, zeigt der Vergleich mit Regionen, in denen die Teilnehmerzahlen des ÖPNV binnen weniger Jahre bis auf das Zehnfache hochschnellten. In der Schweiz, dann in Österreich und den Niederlanden, neuerdings in einigen deutschen „Pionier“-Regionen wie z.B. der Karlsruher Modellregion, aber auch im Münsterland, in Ost-Westfalen (Raum Detmold) und in der Eifel (Euskirchen) ging durch Kombination von Fahrradverkehr, Anrufbussen und Sammeltaxen mit modernen Bussen und Bahnen „die Post ab“. Zentrales Erfolgsgeheimnis war eine Vervielfachung der Zahl der Haltestellen und Bahnhöfe etwa um den Faktor 10, die Einführung eines dichten Taktverkehrs mit abgestimmten Anschlüssen im integralen Taktfahrplan und der Einsatz moderner Fahrzeug- und Logistikkonzepte. Mehr als 300 m Fußweg zur Bushaltestelle wird den Fahrgästen nicht zugemutet. Unnötig zu sagen, dass z.B. alle Busse über die Möglichkeit der Fahrrad-Mitnahme verfügen. Viele Fahrgäste lassen den eigenen PKW in der Garage stehen, weil es mit Bussen und Bahnen bequemer und schneller geht, kommunikativer ist und besonderen Spaß macht, intelligent zu reisen.

Autos sind keine Fahr-, sondern Stehzeuge Jeder regelmäßig traditionell genutzte PKW befördert im Durchschnitt 1,4 Personen und steht an 23 Stunden täglich ungenutzt herum, verbraucht wertvollen öffentlichen Raum und verursacht hohe Fixkosten. Warum nicht das eigene (Zweit-)Auto verkaufen? Berechnungen belegen, dass sich eine erhebliche Reduktion der Kfz-Zahlen im Vergleich zum steigenden Investitionsbedarf des ÖPNV nicht zuletzt für die öffentlichen Haushalte lohnt.

Freizeitverkehr und Service sind die entscheidenden „Schlachtfelder“ Autos werden vor allem mit Blick auf die Freizeit gekauft. Gefragt sind der große Kofferraum, der große Innenraum und die Geländegängigkeit. Für den Ausstieg aus der Autogesellschaft relevant ist eine schnelle und bequeme Erreichbarkeit der Freizeitziele durch öffentlichen Fern- und Nahverkehr. Die leidige Gepäckfrage muss intelligent gelöst werden. Einerseits wächst der Markt für Ausleihsysteme besonders an Urlaubsorten, z.B. für Surfbretter, Paddelboote oder Fahrräder, andrerseits sollten sich Bahn- und Busbetreiber an die funktionierenden Errungenschaften der 1950er Jahre erinnern – 6 Mio Fahrräder pro Jahr beförderte die alte Bundesbahn in ihren Gepäckwagen, die Postbusse transportierten neben Personen auch Pakete und andere sperrige Güter. Das alles konnten Busse und Bahnen damals ohne die heutigen Service-Möglichkeiten, welche allerdings den kurzsichtigen Profitinteressen häufig zum Opfer fallen.

Service muss im Zentrum einer Abkehr von der Automobilität stehen. Der „Kofferraum“ ist logistisch durch guten Service zu ersetzen. Die vielen Mobilitätsziele des Freizeitverkehrs im dünnbesiedelten ländlichen Raum müssen durch flächendeckenden, hochtaktigen ÖPNV angebunden werden. Daher ist ein flächendeckendes Mobilitätssystem für die Region Kiel einschließlich der angrenzenden Landkreise notwendig, das nicht nur auf Schüler, Pendler und Geschäftsreisende schielt. Die Ausrede „man kann da ohne Auto nicht hinkommen, nicht am Wochenende, nicht abends“, darf es künftig nicht mehr geben.

Arbeitsmarkteffekte einer Verkehrswende Einerseits kostet eine konsequente Verkehrswende Arbeitsplätze: in der konventionellen Kfz-Produktion und ihren nachgelagerten Bereichen (Werkstätten, Autohandel, Versicherungen etc) sowie in der autoorientierten Bauindustrie für Straßen- und Parkraumbau. Stärker wiegt die Alternative durch den Wandel der Autoindustrie zu modernen Mobilitätssystemen. Der Tiefbau gewinnt an Fahrt durch Neubau, Ausbau und Modernisierung von Schienenstrecken, Bahnhöfen, Haltepunkten, Depots usw. Der gesamte Bereich der Verkehrslogistik ist auszubauen, um die nötige Flexibilität in Betrieb und Benutzung zu gewährleisten. Dazu zählen die überall anzusiedelnden Mobilitätszentralen ebenso wie die interaktive Empfänger- und Sendertechnik und Verkehrssystemsteuerung in allen Fahrzeugen und im gesamten Verkehrsnetz. Es werden sehr viel mehr und bessere Serviceleistungen im Mobilitätsbereich nötig. Dazu zählen fahrzeugbegleitende Reisedienstleistungen (Gepäckservice, Gastronomie, rollendes Hotel, Kommunikations-, Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen, Handel) und die mobilitätsvorbereitenden Dienstleistungen in der Mobilitätsberatung und Mobilitätssteuerung.

Schluss mit dem Verzichtsethos! Für eine Steigerung der Lebensqualität! Die Steigerung der Lebensqualität muss im Zentrum unsrer Zukunftserwartungen stehen. Leben im neuen Mobilitätssystem, das im Kreis Plön etwa zu je einem Viertel Anteil von Fußgänger-, Rad-, Autoverkehr und ÖPNV besteht (der Autoverkehr ist wiederum zu teilen in traditionellen PKW-Verkehr sowie Car-Sharing, Anruf- und Sammeltaxis etc), ist kein Verzicht, sondern bei richtiger Nutzung der Möglichkeiten ein Gewinn. Die starke Reduktion des PKW-Bestandes schafft Raum für eine Vielzahl von Bäumen, für neue Grünflächen in der Stadt, für Freiheit von Verkehrslärm, für ökologische Qualität. Ermöglicht wird der Abbau täglicher Frustrationen durch Stau, Parkplatzsuche, beim Lesen von Strafmandaten und Betrachten von Unfallschäden. Das Wirtschaftssystem gibt vor, vieles rationell und effizient zu organisieren. Beim Verkehr setzt man auf das Gegenteil, auf Chaos als Grundprinzip. Dagegen setzt Verkehrswende auf die Trümpfe von Ordnung, Effizienz, Rationalität und Service.

Plön, 9. Juni 2016. Hansjürgen Schulze

(Dieser Beitrag ist zunächst gedacht als Diskussionsbeitrag in der Energiewende-Kern-AG der ÖPF-SH. Ziel ist es, daraus eine Stellungnahme der ÖPF-SH zu erwirken. Einzelne Exemplare gehen zu Informationszwecken an den Plöner Kreisvorstand der Linkspartei.)

1= https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Manuskripte/Manuskripte_99.pdf

2= Rost, Norbert: http://regionalisierung.de/regionalisierung.php

3= https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/O/ostseepolitik/ostsee_nordseeangelegenheiten.html

insbesondere Ostseebericht 2014: https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/O/ostseepolitik/Downloads/ostseebericht2014.pdf?__blob=publicationFile&v=2

4= https://www.kreis-ploen.de/media/custom/2158_1020_1.PDF?1403850415

5 = https://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/vkw/ivs/srv

6 = https://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/vkw/ivs/srv/SrV2018/SrV2018_Informationsbroschuere.pdf

7 = http://www.sonnenseite.com/de/zukunft/jeder-dritte-wuerde-auf-eigentum-verzichten-und-produkte-lieber-teilen.html

8 = http://www.100-ee-kongress.de/fileadmin/redaktion/100-ee-kongress/5._Kongress/Praesentationen/F21_E-Carsharing_Praxisbeispiel_Hahn.pdf