Zur aktuellen Vattenfall-Klage auf Schadenersatz wegen AKW-Stilllegungen. Hintergrundwissen

TTIP lässt grüßen: Ein Sondergericht in den USA verhandelt seit Montag, dem 10. Oktober 2016, über eine Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland auf 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz. Er sieht sich wegen der vorzeitigen Abschaltung der von ihm mitbetriebenen maroden Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel praktisch enteignet. Hierzu eine Hintergrundinformation durch unsren Berliner Mitstreiter Dr. Detlef Bimboes:

„Der staatliche schwedische Energiekonzern Vattenfall zieht alle Register gegen den Atomausstieg und setzt dafür den kaum bekannten Energie-Charta-Vertrag (1) als Waffe ein. Der Konzern klagt damit nicht nur vor deutschen Gerichten gegen die Bundesregierung, sondern bereits seit dem 31. Mai 2012 vor dem Schiedsgericht ICSID, dem International Centre für Settlement of Investment Disputes, das der Weltbank angehört. Es ist im Rahmen des Vertrages für Vertragsstreitigkeiten zuständig. Die Klage könnte laut Hinweisen der Berliner Zeitung vom 23.03.2013 (2) – soweit sie erfolgreich ist – Deutschland 3,7 Milliarden Euro kosten und die Kraft demokratischer Entscheidungen in Deutschland dauerhaft unterhöhlen. Im Bundestag beschäftigen sich nur wenige Abgeordnete wie Ralph Lenkert (3) (MdB DIE LINKE) näher mit diesem Thema. Gut recherchierte und informative Hintergründe zur Klage Vattenfalls vor dem ICSID-Schiedsgericht finden sich auf der Webseite von PowerShift (4).

Zu Hintergrund und Stoßrichtung des Energie-Charta-Vertrages                                                                           Im Folgenden soll kurz auf die  Entstehungsgeschichte des Energie-Charta-Vertrages und danach auf einige wesentliche Regelungen und ihre Bedeutung eingegangen werden. Der Vertrag entstand auf Initiative der EU und unter Regie der OECD, wurde bereits 1994 unterzeichnet und trat 1998 in Kraft. Er wurde im Namen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EKGS), der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) genehmigt. Das Vertragswerk ist eine kleinere, auf die Interessen von Energiekonzernen zugeschnittene Ausgabe des am Widerstand Frankreichs im Dezember 1998 gescheiterten Multilateralen Abkommens über Investitionen (MAI), einem internationalen Vertragswerk zwischen transnationalen Konzernen, der Europäischen Union und den OECD-Staaten. Das MAI zielte darauf ab, in den Unterzeichnerstaaten direkte Auslandsinvestitionen zu fördern und zugleich die Rechte und Eingriffsmöglichkeiten internationaler Investoren umfassend zu stärken. Näheres kann hierzu bei Wikipedia (5) nachgelesen werden.

Der Energie-Charta-Vertrag verfolgt die gleichen Zielsetzungen. Im Mittelpunkt steht der ungehinderte Zugang zu den Energieressourcen rohstoffreicher Länder. Deshalb sieht der Vertrag vor, dass sowohl Energievorräte als auch Transitwege (Pipelines im Falle von Erdöl und Erdgas) privatisiert werden und die freie Transferierbarkeit der in einem Land erwirtschafteten Gewinne gewährleistet wird. Wo profitabel, wird zudem in Aufbau und Unterhalt von Infrastruktur zur Energieversorgung investiert. Im Einzelnen verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten u. a. zu folgendem (6):

  • Jede Investition eines Ausländers muss mindestens so vorteilhaft behandelt werden wie die eines inländischen Investors;
  • Alle Auslandskapitalanlagen und alle Erträge daraus dürfen völlig frei jederzeit in konvertibler Währung aus dem Land abgezogen werden;
  • Der Staat muss jede Aktion gegen das Auslandskapital (außer reinem MarktWettbewerb) unterbinden, sei sie von Staatsunternehmen, von regionalen Regierungen oder von wem auch immer beabsichtigt;
  • Schäden an der Auslandsinvestition durch Krieg, Aufruhr usw. müssen seitens des Staates bezahlt bzw. ersetzt werden;
  • Der Investor kann den Staat bei jedem Streitfall vor ein internationales Schiedsgericht bringen; dessen Urteil ist endgültig und muss vom Staat ohne jede Verzögerung vollzogen werden. Das kann nicht nur das Schiedsgericht des ICSID, sondern auch die Stockholmer Handelskammer sein, worauf Vattenfall im konkreten Fall aus taktischen Gründen verzichtet hat, da der Konzern seine Zentrale in Stockholm hat.

Gefahren für staatliche Souveränität setzen Grenzen für Akzeptanz des Vertrages                                        Es geht also im Kern den Energiekonzernen und mit ihnen verbundenen, große Energieressourcen verschlingenden Staaten darum, die Energievorräte in den Unterzeichnerstaaten nicht nur zu nutzen, sondern auch zu besitzen und die Kontrolle über die Preise zu haben. Damit wird die nationale Souveränität eines jeden Unterzeichnerstaats über seine Energierohstoffe und die Gestaltung seiner eigenen Versorgung und der Schutz eigener Wirtschafts- und Konzerninteressen untergraben.

Dies spiegelt sich im bisherigen Verlauf des Energie-Charta-Prozesses wider, an dem inzwischen 51 Staaten teilnehmen. Im Wesentlichen sind es Mitgliedstaaten der EU, einige des ehemaligen Jugoslawiens, viele Staaten aus der energierohstoffreichen Kaspi-Region. Die Türkei, Mongolei und Japan sind ebenfalls dabei. Allerdings sind, mit Blick auf eben angesprochene Gefahren des Vertrages für die nationale Souveränität, die mit Energierohstoffen reich gesegneten Staaten USA, Kanada, Indonesien, Venezuela, Nigeria und die Golfstaaten bislang nur als Beobachter – wie übrigens auch China – vertreten. Besonders aufschlussreich ist der Beobachterstatus der USA, die weitreichend heimische Ressourcen vor dem Zugriff ausländischer Staaten und Konzerne schützen, selbst aber global mit allen Mitteln auftreten, um sich in den Besitz strategisch wichtiger Ressourcen zu bringen. Als Beobachter sind überdies neben politisch-wirtschaftlichen Zusammenschlüssen wie der südostasiatischen ASEAN und der BSEC (von der Türkei initiierte SchwarzmeerWirtschaftskooperation) auch hochrangige, Finanz-/ Wirtschafts- und Ressourceninteressen vertretende Einrichtungen mit von der Partie. Zu letzteren zählen die Internationale Energieagentur, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, OECD, Weltbank und die WTO. Fünf Staaten, darunter die besonders rohstoffreichen Länder Australien und Russland, haben den Vertrag zwar unterzeichnet, mit Blick auf die erwähnten Gefahren aber nicht ratifiziert. Allein die Weigerung Russlands, dem Vertrag beizutreten, wird von der EUKommission seit vielen Jahren zu Konflikten genutzt. Für sie bildet der Energie-ChartaVertrag den Schlüssel, die russische Öl- und Gasindustrie im Interesse insbes. westeuropäischer Energiekonzerne zu liberalisieren und zu privatisieren. Näheres hierzu kann nachgelesen werden in dem vom Verfasser und Joachim Spangenberg erarbeiteten Beitrag zu „Russland und die Europäische Union“ (7).

Energieversorgungssicherheit – nicht agressiv sondern friedlich und kooperativ                                      Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dass politisch mit langem Atem dafür gesorgt wird, dass das Vertragswerk aufgehoben wird. Die Bundesregierung kann ihren Teil dazu beitragen und den Vertrag für Deutschland aufkündigen. Das wird die schwarz-gelbe Koalition nicht tun. Deshalb gilt es weiterhin, auch über die Bundestagswahlen im September hinaus, Druck zu machen. Energieversorgungssicherheit hat Teil friedlicher, kooperativer zwischenstaatlicher Außenwirtschaftsbeziehungen zu sein und nicht aggressiver Finanz/Wirtschafts- und Konzernstrategien.

Anmerkungen:

1: http://www.encharter.org/

2: http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/vattenfall-15-juristen-gegen-die-demokratie-6993940

3: http://www.nachhaltig-links.de/index.php/atom/atomausstieg/1129-geheimniskraemerei-im-umweltausschuss

4: https://power-shift.de/language/de/

5: https://de.wikipedia.org/wiki/Multilaterales_Abkommen_%C3%BCber_Investitionen

6: Fred Schmid, Conrad Schuhler: Krieg ums Erdöl, isw Spezial Nr. 15, S.23, Januar 2003

7: http://www.detlef-bimboes.de/Energie-und-Rohstoffe

29. März 2013. Verfasser: Dr. Detlef Bimboes, Berlin. Diplombiologe, Mitglied bei der Ökologischen Plattform bei der Partei DIE LINKE und Unterstützer des Sozialökologischen Bündnis Plön