Die deutsche Energiewende im Kontext der UN-Agenda 2030

Vorbemerkung:

Dieser Beitrag ist der Broschüre des Sozialökologischen Bündnis Plön „Macht eure Dächer Volt!“ entnommen. Am 30.11./1.12.2018 findet in Buenos Aires der nächste Kongress der G-20 statt. Der nächste Beitrag wird über den Stand der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens in den G20-Staaten informieren.                                                                                                      —————–

Nach mehrjähriger Vorbereitung beschlossen alle 195 Mitgliedsstaaten am 25.9.2015 einstimmig die UN-Agenda 2030 mit ihren 17 Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals) und 169 Unterzielen (36). Angesichts von 18 Millionen Klimaflüchtlingen war vielen bewusst, dass der Eindämmung der Klimaerhitzung eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung der 17 SDGs zukommt, z.B. bei der Verwirklichung von SDG 2 (Nahrungssicherheit für mehr als 7,4 Milliarden Menschen). In einem parallelen Prozess handelten dieselben Staaten knapp drei Monate später das Pariser Klimaabkommen aus.

Bei der Umsetzung beider Vereinbarungen stoßen z.T. widersprechende Interessen aufeinander. Die korrupten Eliten vieler Entwicklungsländer wollen den Wachstumspfad der Industrieländer beschreiten (SDG 8) und setzen auf fossile Energien (SDG 7). Das steht im Widerspruch zu SDG 13 (Klimawandel stoppen). Auch die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens wird vom Kampf zwischen der alten fossilen und der neuen, auf erneuerbaren Energien basierenden Welt geprägt. Das alles wird von weiteren Konflikten überlagert: der globalen Finanzmarktkrise, Kriegen und Bürgerkriegen, Terrorismus sowie wachsender Ungleichheit und als deren Folge ein in vielen Ländern zu beobachtender Aufstieg völkischer, autoritärer Nationalismen („America first!“). Das ist für die Umsetzung beider Abkommen kontraproduktiv. Es hat den Anschein, als würden beide Abkommen auf der internationalen Prioritätenliste zunehmend an den Rand gedrängt. Neustes Negativbeispiel ist der UNMigrationspakt, der am 10./11. Dezember in Marrakesch unter Federführung Marokkos und Deutschlands unterzeichnet werden soll. Er wird den Entwicklungsländern zugunsten der reichen Industriestaaten Ressourcen an Arbeitskraft entziehen, die sie zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 dringend selber benötigen (37). Geradezu zynisch wirkt die Behauptung in Ziffer 15e der Präambel (38), das Migrationsabkommen wurzle in der UN-Agenda 2030 !

Umso größeres Gewicht kommt der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) zu. Auch sie sind von den genannten gegenläufigen Interessen geprägt, doch sind sie eher zur Einigung fähig. Unter der chinesischen Präsidentschaft beschlossen alle G20-Staaten im September 2016 in Hangzhou den in sich ebenfalls widersprüchlichen „Action Plan on the 2030 Agenda for Sustainable Development“ (39). Weil die reiche Industrienation Deutschland das Know-how und die finanziellen Mittel für den Wandel hat, erwuchs der deutschen G20-Präsidentschaft im Nachfolgejahr 2017 eine verantwortungsvolle Aufgabe, die sie in Vorbereitung des Hamburger Gipfels im Juli 2017 durch Installation diverser Arbeitsgruppen, z.B. „T20“ (Think 20), zunächst korrekt erfüllte. So treffen sich die Akteure bedeutender Denkfabriken, darunter mehrere Nobelpreisträger, unter Federführung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (Dennis Snower) und des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (Dirk Messner und Imme Scholz) über die deutsche G20-Präsidentschaft hinaus jährlich in Berlin (40) – das nächste Mal am 18./19.3.2019. Wie wichtig das (einstige) Vorbild Deutschland für viele Entwicklungsländer ist, wird daran erkennbar, dass Bonn den Weltklimarat beherbergt und das Kieler Weltwirtschaftsinstitut sowie das in Bonn beheimatete Deutsche Institut für Entwicklungspolitik auch in den nächsten Jahren eine prägende Rolle beim neuen „T20“-Format „Global Solutions“ einnehmen (41).

Leider erfüllte die „Klimakanzlerin“ die hohen Erwartungen an den Hamburger G20-Gipfel nicht. Im öffentlichen Gedächtnis bleiben der gewaltsame Protest linker Gruppen („Hamburger Krawalle“) und dass es gelang, die „Geschlossenheit der G-19“ gegenüber dem auf „Ausstieg aus Paris“ erpichten USPräsidenten Trump zu wahren. Langjährig wirkende Energiewende-Impulse blieben leider aus (42). Umso wichtiger ist es, speziell in Deutschland Druck auf die Politik von unten aufzubauen. Dem „Bündnis Eine Welt SchleswigHolstein“ schlagen wir vor, gemeinsam unseren zivilgesellschaftlichen Einfluss auf das Kieler Weltwirtschaftsinstitut auszuüben (43). Dabei können wir an das 2008 im Plöner Schloss vom Kieler IfW gegründete „Global Economic Symposium“ anknüpfen, ein jährliches Treffen von Hunderten Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft und allen Kontinenten, das bisher Lösungsvorschläge für globale Herausforderungen thematisierte.

Das Sondergutachten des WBGU: „Die großen ‚I‘ “

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Vorfeld der ersten UN-Umweltkonferenz auf Initiative des damaligen Bundesumweltministers Klaus Töpfer gegründet. Er besteht aus etwa einem Dutzend der namhaftesten Wissenschaftler*innen aus allen relevanten Disziplinen und soll die Bundesregierung im Vorfeld internationaler Tagungen und Kongresse zu Umweltthemen beraten.

Ende 2016 hatte der WBGU in einem Sondergutachten das Merkel-Kabinett auf den Hamburger G20-Gipfel vorbereitet: „Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) sollte jetzt die Umsetzung beider Abkommen entschlossen vorantreiben und die Große Transformation zur Nachhaltigkeit als einzigartiges Modernisierungsprojekt wahrnehmen. (…) Die Transformation inspiriert Innovationen und lenkt Investitionen in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz, u.a. in die auf- und auszubauenden nachhaltigen Infrastrukturen. Gleichzeitig kann die Transformation genutzt werden, um Ungleichheit zu bekämpfen, also die Inklusion innerhalb der Gesellschaften wie auch global voranzubringen, und so zum Gerechtigkeitsprojekt werden. Die G20 als prägender Akteur sollte diese ‚vier großen I‘ der Nachhaltigkeits- und Klimapolitik gezielt fördern, so dass Ressourcen- und Verteilungskonflikte entschärft und damit internationale Krisen verhindert werden (…) Die deutsche G20-Präsidentschaft kann für dieses Zukunftsprogramm entscheidende Weichen stellen“ (44, S. 1).

Ausbau erneuerbarer Energien, Einrichtung transformativer Staatsfonds

Die WBGU-Vorschläge stützen sich auf das „Leitbild des gestaltenden Staates: öffentliche Institutionen, Markt, Zivilgesellschaft und Wissenschaft müssen in eine neue Balance gebracht werden, um den Übergang zur Nachhaltigkeit als globales Modernisierungsprojekt voranzubringen. Die erste große Globalisierungskrise zwischen 1910 und 1930 versetzte die damals führenden Industrienationen in einen Zustand gefährlicher Nervosität und provozierte einen hysterischen Nationalismus, der (…) letztlich in zwei Weltkriege mündete. Einzig die US-amerikanische Politik des New Deal entzog sich der Dynamik nationalistischer Austeritätspolitik und baute gegen den wirtschaftlichen Niedergang wohlfahrtsstaatliche Barrieren ein. In der heutigen Globalisierungskrise ist ein neuer ‚Deal‘, ein (globaler) Gesellschaftsvertrag zur Nachhaltigkeit und Inklusion erforderlich, der die Grenzen der Nationalstaaten übersteigt und die Überwindung des gegenwärtigen Stagnationszustands der Weltwirtschaft mit dem Projekt der Wiederherstellung des Friedens zwischen Zivilisation und Natur verbindet“ (44, S. 5).

Der WBGU schlägt allen G20-Mitgliedsländern einen dekadischen Klimaschutzfahrplan zum „Übergang vom fossil-nuklearen zum effizienterneuerbaren Wirtschaften“ vor: Bis 2020 solle eine effektive CO2-Bepreisung und das Ende der Subventionen fossiler Energieträger erreicht werden. 2030 müsse die Zulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren gestoppt sein. 2040 sei der großskalige Einsatz erneuerbarer Energien samt Energiespeicherung und –transport abzuschließen und bis 2050 die vollständige Dekarbonisierung aller G20-Ökonomien zu verwirklichen (44, S. 2).

Der WBGU empfiehlt „den G20-Staaten insbesondere die Einrichtung transformativer Staatsfonds (Zukunftsfonds). Damit können die G20-Staaten auf den Finanzmärkten stärker als Akteure aktiv werden, mit dem Ziel, einen sozialverträglichen Strukturwandel bis hin zu einem nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu fördern. Die Zukunftsfonds sollten sich aus den Einnahmen von CO2-Steuern und Emissionshandel speisen sowie aus einer Generationenkomponente auf Nachlassvermögen“ (daselbst).

Literaturnachweis:

(36) http://www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf
(37) http://norberthaering.de/de/27-german/news/1049-migrationsabkommen-sargnagel
(38) http://www.un.org/depts/german/migration/A.CONF.231.3.pdf
(39https://www.b20germany.org/fileadmin/user_upload/G20_Action_Plan_on_the_2030_Agenda_for_Sustai nable_Development.pdf
(40) https://sozialoekologisches-buendnis-ploen.de/t-20-fuehrende-think-tanks-bereiten-den-hamburger-g20-gipfel-vor/
(41) http://www.g20-insights.org/policy_area/2030-agenda-for-sustainable-development/
(42) https://www.globalpolicywatch.org/blog/2017/09/21/the-g20-and-the-2030-agenda/
(43) https://www.ifw-kiel.de/de/institut/forschungs-beratungseinheiten/global-challenges-center/
(44https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu.de/templates/dateien/veroeffentlichungen/sondergutac hten/sg2016/wbgu_sg2016.pdf