Zur Insolvenz von Solarworld – das Heucheln der Pharisäer

Seit dem „voreiligen und wirtschaftspolitisch völlig unsinnigen Rückzug aus der Solarförderung“ (Claudia Kemfert) zu Jahresbeginn 2012 durch die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung gingen deutsche Solarunternehmen reihenweise Pleite. Nach jahrelanger Agonie hat es jetzt auch Solarworld getroffen.  Doch das liegt auch an hausgemachten Fehlern. Dazu ein sachkundiger Artikel, entnommen „PV-Magazine“:

https://www.pv-magazine.de/2017/05/12/kein-grund-zum-feiern/

Herausstreichen möchte ich diese kritische Bemerkung: Solarworlds Geschäftsführer „Asbeck hat durch sein Festhalten an alten Strukturen und Geschäftskonzepten sein Unternehmen selbst auf dem Gewissen. Alternativszenarien sehen wir ja durchaus bei anderen deutschen Solarpionieren, die mittlerweile im internationalen Umfeld gut aufgestellt sind.“ In der Tat – er hätte wissen müssen, dass einfach reproduzierbare Solarmodule in China oder Südostasien bei hinreichender Qualität viel kostengünstiger produziert werden können als in Deutschland. Es ist der falsche Weg, sich vor ostasiatischer Billiglohnkonkurrenz durch hohe Importzölle zu schützen. Stattdessen hätte die deutsche Solarbranche auf die Vorteile der deutschen Wirtschaft setzen sollen: auf deren Spitzenpositionen im Maschinen- und Anlagenbau, in der Systemtechnik und bei Know-how-Dienstleistungen, allerdings zu vernünftigen Löhnen unter Wahrung sozialpolitischer Errungenschaften. Genau hier liegt die Zukunft der deutschen Solarindustrie!

Besondere Besorgnis muss m.E. erregen, wenn ein namhafter linker Sozialdemokrat wie Albrecht Müller und ein Teil seiner Mitstreiter die Insolvenz des letzten der vier einstigen großen deutschen Solarunternehmen missbrauchen, um gegen die gesamte Energiewende zu Felde zu ziehen. Ich hab mich heute über folgenden Beitrag in den NachDenkSeiten mächtig geärgert, gerade weil sie uns nahestehen,

http://www.nachdenkseiten.de/?p=38254

… und mit Blick auf den Kieler NachDenkSeiten-Gesprächskreis den folgenden Kommentar formuliert:

Albrecht Müller zeigt wieder einmal, in welcher Zeit er zuhause ist. Es sind die Sechziger und frühen Siebziger Jahre, in denen er als Willy Brandts Wahlkampfleiter fungierte. Die Löhne bewegten sich damals im Gleichtakt mit der Arbeitsproduktivität, eine gegenüber heute deutlich bewusstere Arbeiterklasse mit ihren starken Gewerkschaften erkämpfte erhebliche Fortschritte im Sozialwesen. (Schon vergessen? Vor sechzig Jahren tobte in Schleswig-Holstein der legendäre Metallarbeiterstreik, in dessen Folge für ALLE Lohnabhängigen bundesweit schon ab dem ersten Krankheitstag der Lohn fortgezahlt werden muss.) Doch das damalige ökonomische Regime hatte neben anderen Faktoren (z.B. der Wirkung des Vietnamkriegs auf die internationale Finanzwirtschaft) einen weiteren gravierenden Mangel: Die Ressourceneffizienz stagnierte. Arbeitsproduktivität und Löhne stiegen zwischen 1950 und 1975 in der BRD auf das Vier- bis Fünffache, während sich die Effizienz des im selben Maß wachsenden Ressourceneinsatzes verdoppelte. Dadurch wuchs der Einsatz von Energie und Rohstoffen überproportional, sie wurden immer teurer und dies senkte die technologiebedingten Extraprofite, aus denen sich der „Teilhabekapitalismus“ speiste. Mangels ausreichender ökologischer Investitionen nahmen die Umweltschäden immens zu: Waldsterben durch sauren Regen, verschmutzte Flüsse durch fehlende Kläranlagen, Ozonloch. Der Club of Rome warnte 1972 vor den „Grenzen des Wachstums“. Ein Jahr später folgte die erste Ölkrise. Seit den 1990ern wurde, ebenfalls als Folge der gigantischen Produktionsausdehnung nach dem Zweiten Weltkrieg, der menschengemachte Klimawandel zur globalen Herausforderung.

In den 1970ern entstanden weltweit die ersten Umweltbewegungen, die ersten grünen Ministerien, 1980 wurde in der BRD die Partei DIE GRÜNEN gegründet. Die UN sorgt sich zunehmend um die Zukunft der Menschheit: 1986 Atomkatastrophe in Tschernobyl, 1987 Bericht der Brundtland-Kommission (Nachhaltigkeitsdreieck Ökonomie, Ökologie, Soziales), 1992 UN-Konferenz in Rio de Janeiro (u.a. wurde die weltweite Installierung von Lokalen Agenden 21 beschlossen), 1996 Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ des Wuppertal-Instituts im Auftrag von BUND und Misereor. 2000 UN-Beschluss von 8 Milleniumszielen bis 2015 (u.a. Überwindung von Armut und Hunger in der „3. Welt“) und Installation der Energiewende in Deutschland (EEG), 2002 UN-Konferenz zum Klimawandel in Johannesburg, 2011 Katastrophe von Fukushima, auf Druck der Bevölkerung Beschluss der Bundesregierung, bis 2022 die restlichen Atommeiler stillzulegen, 2015 UN-Beschluss, die bis zu diesem Jahr geltenden 8 Milleniumsziele zur „Agenda 2030“ zu erweitern (17 Nachhaltigkeitsziele bis 2030), im Dezember 2015 Beschluss der Pariser Klimakonferenz, den globalen Temperaturanstieg deutlich unter 2°C zu halten.

Angesichts dieser Entwicklung wäre es angebracht gewesen, den Mitte der 1970er Jahre in die Krise geratenen Teilhabekapitalismus durch sozialökologische Reformen gründlich zu erneuern, vor allem die wichtigste Krisenursache auszumerzen: das Stagnieren der Ressourceneffizienz. Die Entwicklung ging in die falsche Richtung – der anschließende Finanzmarktkapitalismus produziert Krisen über Krisen, die sozialen Spaltungen aller Gesellschaften nahmen dramatisch zu, bei inzwischen minimaler ökonomischer Entwicklung. Hier ist Albrecht Müllers aufklärerisches Wirken unentbehrlich. Aber er hat in seiner vom Gesamtzusammenhang herausgelösten Sicht noch immer nicht verstanden, in welch brisanter Lage sich die Menschheit befindet. In den sechziger Jahren konnte die Natur zum Nulltarif ausgebeutet werden und das nimmt er weiterhin als naturgegeben hin.

Nur drei Sätze zum Artikel der heutigen NachDenkSeiten: Erstens: Die Gestehungskosten für die erneuerbaren Energien sind inzwischen so stark gesunken, dass Kohle, Erdöl und Erdgas immer weniger mithalten können (Braunkohle: ca. 5 Cent pro kWh, Steinkohle 7 Ct/kWh, Onshore-Windenergie 5-9 Ct/kWh, Solarenergie 7-9 Ct/kWh, mit weiter sinkender Tendenz bei Wind und Sonne, während die fossilen Energien immer teurer werden. Selbst in Finnland rechnet sich Photovoltaik.) Zweitens: Es ist eine große Lüge, dass die Erneuerbaren den Preisanstieg des Haushaltsstroms verursacht haben: Weil Kohle- und Atomstrom immer noch direkt oder indirekt massiv subventioniert werden, haben wir ein Strom-Überangebot – an der Leipziger Strombörse wird Strom deutlich unter 3 Ct/kWh gehandelt. Der Betrug zeigt sich darin, dass die Stromversorger diesen Preis nicht an die Kunden weitergeben. Drittens: Ein echter Wettbewerb würde erst dann entstehen, wenn die Belastungen der Umwelt, vor allem durch CO2, den Preisen hinzugerechnet würden – wir alle bezahlen diese Zusatzkosten konkret, z.B. durch die steigenden Krankenkassenbeiträge, mit denen die wachsenden CO2-bedingten Erkrankungen beglichen werden müssen.

Und noch eins ist zu beachten: Die Regierungen erweisen sich als Interessensvertreter der Atom- und Kohlekonzerne. Je stärker die sozialökologischen Bewegungen weltweit voranschreiten, umso mehr verfestigt sich der Widerstand der alten Mächte, z.B. als Blockade beim Ausbau von Speichern und Stromleitungen  Der Kampf für eine sozialökologische Wende wird sich weltweit in den nächsten Jahren zuspitzen.